Das Angebot von Büchern zur Psychopharmakotherapie ist kaum noch zu überblicken. Bereits 2014 reihte sich Jan Dreher mit »Psychopharmakotherapie griffbereit«, das mittlerweile in der fünften Auflage erscheint, mit ein. Jan Dreher ist Chefarzt einer psychiatrischen Klinik in Krefeld, betreibt zusammen mit dem Facharzt für Psychosomatische Medizin Alexander Kugelstadt einen Podcast und ist auf vielen Social-Media-Kanälen unterwegs. Sein Buch wendet sich, so Dreher in der Einleitung, an angehende Psychiaterinnen und Psychiater und psychologische Psychotherapeuten, Hausärzte, Internisten, Krankenpflegepersonal, Betreuer, Sozialarbeiter, Angehörige und Patientinnen und Patienten. Der Autor versteht sein Buch nicht als vollumfängliches Lehrbuch, sondern als eine Sammlung praktischen, alltagsrelevanten Wissens.
Nach einem knappen Überblick über die Wirkung der Neurotransmitter und der Verordnungshäufigkeit von Psychopharmaka folgen fünf ausführliche Kapitel, in denen die Psychopharmaka nach ihren Wirkungen (antidepressiv, antipsychotisch, phasenprophylaktisch, angstlösend und beruhigend) eingeordnet werden. Die Leser erfahren neben einigen historischen Hintergründen zur jeweiligen Substanz auch deren pharmakologische Eigenschaften (Rezeptorbindung und Verstoffwechselung). In einem Abschnitt »klinischer Einsatz« geht der Autor auf die jeweiligen Eigenschaften und speziellen Indikationen der Wirkstoffe ein und gibt Dosierungsempfehlungen. Bei den Antidepressiva werden so z.B. die schlaffördernden Eigenschaften oder deren Wirkung gegen Ängste und Zwänge beschrieben. Jedes Kapitel zu den Wirkstoffen enthält zudem einen Abschnitt zu den Nebenwirkungen, in dem sowohl Erkenntnisse aus Studien als auch die persönlichen Erfahrungen aus dem klinischen Alltag von Jan Dreher einfließen.
Dabei werden wirkstoffübergreifende Probleme wie die Absetzeffekte bei Antidepressiva oder das metabolische Syndrom bei Neuroleptika nicht unterschlagen. Jeder Überblick über einen Wirkstoff endet mit einem Fazit des Autors. Hier lässt sich die einzige Kritik an »Psychopharmakotherapie griffbereit« festmachen: Die jeweiligen Abschnitte sind mitunter so kurz, dass die Zusammenfassung im Fazit gerade eben erst Gelesenes enthält. Für diejenigen Leser, die lediglich ein Fazit nachschlagen möchten, ist das nicht weiter störend, alle anderen könnten die Wiederholungen ermüden. Kurzweilig sind die vielen Informationen, die der Autor immer wieder in Form von Infoboxen und Fallbeispielen einstreut. Er nimmt sich dabei auch die Freiheit, anekdotisches Wissen, wie die in der Szene immer wieder kursierende Geschichte um die Namensgebung von Leponex, weiterzugeben. Für die klinischen Praktiker sind die übersichtlichen grafischen Darstellungen der Rezeptorbindungsprofile der Neuroleptika und die Äquivalenztabellen verschiedener Wirkstoffe sicherlich von großem Nutzen.
Den Kapiteln zu den wichtigsten psychopharmakologischen Stoffgruppen schließen sich zwei Abschnitte zu Genussmitteln und illegalen Drogen an. Die Genussmittel finden auch deshalb Eingang ins Buch, weil sie in der Klinik eine nicht unerhebliche Rolle spielen. So weist Dreher auf den hohen Kaffee- bzw. Koffeinkonsum vieler Patientinnen und Patienten hin. Da sich der Autor nicht ausschließlich an den Leitlinien der Fachgesellschaften orientiert, schenkt er auch der E-Zigarette mit ihrer Bedeutung für die Entwöhnungsbehandlung von Tabakabhängigkeit seine Aufmerksamkeit. Im Abschnitt zu den illegalen Drogen wird die Substitutionsbehandlung bei Heroinabhängigkeit ausführlich vorgestellt, inklusive Reduktionsschema für die Methadonbehandlung. Wie nah therapeutische Wirkung und großes Leid beieinander liegen wird im Kapitel zur Schmerztherapie deutlich. Der Autor verweist bei Oxycodon auf die Opioidkrise in den USA und verhehlt auch nicht das Suchtpotenzial der Opiate in der Schmerztherapie. Er geht ansonsten aber sehr pragmatisch bei der Beschreibung der einzelnen Wirksubstanzen und ihres jeweiligen therapeutischen Spektrums vor.
Es folgen weitere Kapitel mit Schwerpunktsetzungen wie Gerontopsychiatrie, Notfälle, Schwangerschaft, Wechselwirkungen oder das Drug Monitoring. Auch hier versteht es Dreher, die Leserinnen und Leser immer wieder zu überraschen, so z.B. mit dem Hinweis darauf, dass Wasser das wichtigste Medikament in der Gerontopsychiatrie sei. Am Ende des Buches finden die Lesenden sowohl ein Glossar zu den Fachbegriffen als auch ein umfangreiches Sach- bzw. Stichwortverzeichnis.
Ohne Frage wendet sich »Psychopharmakotherapie griffbereit« vor allem an Fachärztinnen und Fachärzte. Die praxisorientierte klare Sprache, die eingängigen tabellarischen Darstellungen und die eingestreuten Anekdoten machen es aber auch für Leser anderer Professionen sowie für Angehörige und Betroffene interessant. Über einen Code lässt sich die Online-Version des Buches freischalten, was das Nachschlagen z.B. per Smartphone im beruflichen Alltag erleichtert. Wer sich für die Entstehung von »Psychopharmaka griffbereit« interessiert, sollte in die 110. Folge des Podcasts »PsychCast« hineinhören.
Ilja Ruhl in Soziale Psychiatrie
Letzte Aktualisierung: 26.04.2024