Die Berliner Woche der seelischen Gesundheit startete in diesem Jahr zeitgleich mit zwei Dokumentarfilmen, die ein ungewöhnliches Merkmal verbindet: Beide Filme wurden von Frauen konzipiert, gedreht und geschnitten, die in psychiatrischen Einrichtungen aufgewachsen sind. Diese Vertrautheit mit psychischen Krisen zeigt sich in großer Empathie, ja sogar Zuneigung zu Menschen mit psychischer Beeinträchtigung. Der Film „Blender“ wurde hier bereits vorgestellt; der zweite Film trägt den Titel „Plan B - Aus der psychischen Krise zum persönlichen Gewinn“.
Anlässlich der Premiere in der Berliner Urania stellten sich die drei Protagonistinnen des Filmes persönlich vor. Außerdem saß Frau Prof. Dr. Krüger vom Vivantes Humboldt-Klinikum auf dem Podium und sprach einführende Worte. Keine von ihnen kannte den fertigen Film; mit Freundinnen und Angehörigen waren sie aus Norddeutschland nach Berlin gereist. Entsprechend groß war die Spannung im Kleist-Saal.
Eine große Frau mit weißen Haaren singt ein Lied von Wellen und einem Stein, der ins Wasser geworfen wird. Schnitt. Eine junge Frau berichtet von ihrer Kindheit. Schnitt. Zeitungsausschnitte deuten an, dass die dritte Frau, genannt Manu B. in dramatische Ereignisse verwickelt war. Ein Krankenpfleger hat sie während eines Krankenhausaufenthalts betäubt und missbraucht. Der Zuschauer lernt drei Frauen kennen, in kurzen, rasch wechselnden Szenen. Das verwirrt zunächst ein wenig, doch wer die Handschrift von Andrea Rothenburg bereits kennt der weiß, dass man einfach abwarten und sich dem Strom der Bilder hingeben kann. Schon nach kurzer Zeit sind sie vertraut: Heike Korthals, Manu B. und Meike Nordmann. Man kennt ihre Gesichter, ihre Stimmen, und ihre sehr persönlichen Geschichten. Heike Korthals, eine eindrucksvolle und jedes Bild beherrschende Gestalt ist als junge Mutter an einer Psychose erkrankt. Immer wieder war sie in der Klinik, immer wieder drehte sie auf und hob ab.
Auch jetzt scheut sie sich nicht, in einem Kornfeld nahezu schwebend das Leben zu preisen oder in der Kapelle vom Rickling ihre Nähe zu Gott. Maike Nordmann hingegen scheint ununterbrochen mit sich selbst und dem Leben zu ringen; nie habe sie sich wirklich geliebt gefühlt, immer stand alles in Frage. Depressionen zwangen sie in die Knie und zu langen Klinikaufenthalten. Sie spricht von ihren Krisen anschaulich, mit lebhafter Mimik. Dabei ist sie witzig und liebenswert und ihre Intelligenz ist evident. Kommt als letzte Frau auf ihrem Weg Manu B., das traumatisierte Opfer einer kriminellen Handlung. Sie war nie in der Klinik, nie in einer Psychotherapie, sondern hat über eine neue Partnerschaft mit einem Mann, der nie von ihrer Seite weicht, zu einem ganz anderen, wohl besseren Alltag gefunden.
Mit diesem Mann ist sie in ihrem Beruf auf dem Hamburger Flughafen ständig zusammen; „uns gibt es nur im Doppelpack“ berichtet sie in der Diskussion im Anschluss. Sie hat ein Buch geschrieben und tritt bei Lesungen auf , und hat so eine ganz eigene Coping-Strategie gefunden.
Die Mosaiksteine dieser drei Frauenleben, die vielen kurzen Sequenzen, fügen sich zu einem allmählich heller werdenden Bild. Maike Nordmann hat Pädagogik studiert, wenig Glück mit ihren Beziehungen gehabt und eine Ausbildung zur systemischen Therapeutin absolviert. Sie arbeitet als Coach in eigener Praxis und ist im Film zu sehen, wie sie eine vor allem somatisch kranke Frau dabei unterstützt, ihr Leben zu meistern. Sie wird weiter kämpfen, vielleicht mit etwas mehr Zuversicht.
Bleibt Heike Korthals. Die korpulente, so klangvoll artikulierende Frau scheut sich nicht, all ihre Facetten zu zeigen, auch die etwas schrägen, eigensinnigen und damit einzigartigen. Wir lernen ihre Tochter kennen, die von dem Schrecken berichtet, wenn die Mutter wieder aufdrehte und der nächste Schub ins Haus stand. Jetzt begleitet Heike Korthals andere psychisch kranke Mütter und ihre Kinder, auch im Auftrag des Jugendamts, wo sie offensichtlich sehr geschätzt wird.
Sie lobt die Stabilität, die sie durch ihre Medikation und ihren beständigen Mann erhält. Sie leistet sich Exkursionen über die Felder und ans Meer, singt und tanzt und breitet die Arme, also wolle sie die ganze Welt umarmen. Sie tue alles dafür, um glücklich zu sein, und sie ist es, zur Freude des ganzen Auditoriums. Ich bin, das muss ich gestehen, ein Fan dieser wunderbaren Protagonistin geworden, die ich am liebsten in einer Hauptrolle sehen würde.
Nach dem Film kommt es, moderiert von Regisseurin Andrea Rothenburg, zu einer langen, atmosphärisch dichten Diskussion. Die drei starken Frauen haben sich auf der Leinwand selbst gesehen, sind vielleicht ein wenig erschrocken und dennoch begeistert. Viele andere im Saal kauern noch in einem Seelentief oder haben es überwunden; immer wieder kommen Fragen nach dem Plan A, der häufig kein eigener ist, und dem Plan B. Ist er immer Ersatz, oder hat er eine neue Qualität? So dreht sich alles um Recovery, und einen Film, der diesem inzwischen beinahe abgegriffenen Wort drei neue Gesichter gibt. Vor allem für trialogische Veranstaltungen möchte ich ihn sehr empfehlen.
Der Film kann direkt über www.psychiatrie-filme.de, Amazon oder den Buchhandel bezogen werden. Er wird 24,90 Euro für private Zwecke kosten und 59,90 Euro für die lizensierte Version für didaktische und therapeutische Zwecke. Das Team von Andrea Rothenburg freut sich, wenn sie mit ihren Filmen zu Veranstaltungen eingeladen werden oder der Film auf Veranstaltungen nach vorheriger Absprache gezeigt wird. Kontakt info(at)psychiatrie-filme.de.
Ilse Eichenbrenner
Letzte Aktualisierung: 12.06.2024