Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie
Dachverband Gemeindepsychiatrie
Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen
Psychiatrie Verlag

Sieniawka

Sieniawka ist ein Dorf im Grenzgebiet von Deutschland, Polen und Tschechien, ungefähr eine Autostunde entfernt von Berlin. Die Landschaft ist durch den Braunkohltagebau zerstört, immer wieder kippen Häuser ab. Wichtigster Arbeitsplatz ist eine psychiatrische Anstalt, die demnächst aufgegeben wird. Der Filmemacher Marcin Malaszczak hat sich von dieser Kulisse zu einem über zweistündigen Film inspirieren lassen. Er hat hier seine Kindheit verbracht; Tante und Großvater waren in leitender Position in der Anstalt tätig – sie war sein Spielplatz.

Zu Beginn inspiziert ein etwas herunter gekommener Kosmonaut die quasi apokalyptische Landschaft. Ein anderer Mann stapft eingebunden in eine Zwangsjacke durch die Geröllhalden. Er trifft auf einen alten Mann, der in einem einfachen Zelt haust. Der Alte stirbt und wird hastig von dem entflohenen Patienten verbuddelt. Davor (oder war es danach?) wird vor einem großen Gebäude die Leiche in ein Laken gewickelt abgelegt. So oder so ähnlich ist die fiktive Rahmenhandlung, die um den eigentlichen Kern des Films – die grandiosen Bilder aus der Anstalt – herumgesponnen ist.

Die Kamera wandert in das Gebäude hinein, und beobachtet lange und geduldig den Alltag auf einer Männerstation. Die Tische werden gedeckt, die Suppe aus Eimern geschöpft, das Abendbrot verschlungen. Hinterher wird geraucht, immer wieder wird geraucht, wie – noch – in allen Lagern dieses Planeten. Es wird gebettelt und geschnorrt, geschaukelt, gewartet und inhaliert. Das Personal ist freundlich, alles ist frisch gebohnert und sauber. Plötzlich kommen ein paar Beats aus dem Radio, und einige Männer machen Tanzschritte. Der Fernseher läuft. Junge und vor allem alte Männer liegen und dösen oder schlafen. Sie schaukeln ihre Oberkörper hin und zurück, im Takt eines unhörbaren Metronoms. Ein Mann raucht, und ein anderer Mann greift immer immer immer wieder in Richtung Zigarette und lauert ungeduldig auf die Übergabe, um die letzten Züge einzusaugen.

Es ist die zentrale, kaum aushaltbare Stelle des Films. Später ziehen Insassen und Personal gemeinsam ins Freie; sie legen sich ins Gras, und braten Würstchen am Feuer. Die Sonne scheint und Musik erklingt und es gibt Hoffnung. Die Kamera wandert mit dem geheimnisvollen Protagonisten durch aufgelassene Gebäude, durch ein ehemaliges Kino. Wandert durch die Straßen des Dorfes, vorbei an eingestürzten Häusern. Am Ende steht er mit seinem kleinen Koffer am Straßenrand.

Ilse Eichenbrenner

Letzte Aktualisierung: 12.04.2017