Unter dem Begriff Psychose versteht man eine ganze Gruppe von Erkrankungen, die sehr umfassend das Denken und Fühlen, die Wahrnehmung, den Antrieb und Willen sowie das Erleben einer Person beeinflussen und verändern.
Die Erkrankung verläuft meistens in Phasen, es gibt akute Phasen und weitgehend symptomfreie Zeiten, die in der Regel deutlich überwiegen. Die meisten Patienten erleben immer wieder akute Phasen und Rückfälle. Bei etwa 10 bis 20 Prozent der Betroffenen bleibt es aber bei einer einzigen akuten Episode. Die meisten Betroffenen erholen sich zwischen den akuten Phasen vollständig, bei etwa 20 bis 30 Prozent bleiben jedoch auch außerhalb akuter Phasen Einschränkungen zurück. Beispielsweise sind Konzentrationsvermögen, Ausdauer oder Antrieb nicht mehr so gut wie vor der Erkrankung. (...)
Die Erkrankung beginnt meist mit eher unspezifischen Veränderungen, den sogenannten Frühwarnzeichen. Die akute Phase schließt sich an, wenn die Erkrankung voranschreitet und nicht rechtzeitig gegengesteuert werden konnte. (...) Den Frühwarnzeichen kommt eine besondere Bedeutung zu. Sie treten auf, bevor die Erkrankung akut wird. Wenn sie beachtet werden und sofort Gegenmaßnahmen ergriffen werden, kann meist eine akute Phase noch abgewendet werden. In der akuten Psychose sind die Betroffenen oft nur schwer zugänglich, sie leben in ihrer eigenen Welt, die für Betreuer und Bezugspersonen kaum verständlich ist. Die Patienten leiden dann meist sehr, sind sich aber in der Regel ihrer Erkrankung nicht bewusst.
Anders ist das bei den Frühwarnzeichen. Diese werden auch von den Betroffenen als Hinweis auf eine drohende Wiedererkrankung erkannt. Es ist gut möglich, über das Auftreten von Frühwarnzeichen mit den Betroffenen zu sprechen und gemeinsam zu überlegen, was zu tun ist, um eine drohende Krise abzuwenden. Besonders hilfreich ist es, das Vorgehen bereits in einem Krisenplan festgelegt zu haben. Bei einer Psychose ist es wichtig, bereits frühe Warnzeichen aufmerksam wahrzunehmen und professionelle Hilfe zu suchen. Werden sie übersehen, wird es immer schwieriger, noch einen Zugang zum Betroffenen in der akuten Psychose zu finden und ihn zur Behandlung zu motivieren. (...)
Es gibt keine Frühwarnzeichen, die ganz eindeutig und sicher auf eine bevorstehende Psychose hinweisen. Es ist deshalb vor allem beim erstmaligen Ausbruch einer Psychose äußerst schwierig, dies vorher bereits zu erkennen. Auch Fachleuten gelingt dies oft nicht. Betroffene oder Angehörige müssen sich deshalb nicht schämen, bei der Ersterkrankung nicht rechtzeitig gemerkt zu haben, was los ist.
Wenn jemand kurzfristig seltsame Wahrnehmungserlebnisse hat, wird man deshalb sicherlich nicht gleich von einer Psychose sprechen. Die Probleme müssen über längere Zeit bestehen und ein gewisses Ausmaß haben.
Diagnosen werden meist nach Kriterien gestellt, die in Diagnosesystemen festgelegt wurden. (...) Ein Beispiel für ein Diagnosesystem ist die ICD (Internationale Klassifikation der Krankheiten), ein weiteres bekanntes System ist das DSM (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen). (...)
Weltweit lässt sich zur Häufigkeit von Psychosen sagen (Bäuml 2008):
Eine Psychose ist eine komplexe, vielschichtige Erkrankung, die natürlich keine einfache Ursache hat. Man nimmt heute an, dass es eine gewisse Erkrankungsbereitschaft gibt. Akute Krankheitsphasen entstehen dann, wenn zur Erkrankungsbereitschaft noch zusätzliche Belastungen (Stressoren) hinzukommen. (...)
Genetische Faktoren beeinflussen die Erkrankung, bestimmen sie aber nicht vollständig. (...) Durch äußere Einflüsse auf die Entwicklung des kindlichen Gehirns in der Schwangerschaft und in der Zeit der späteren Reifung des Gehirns (Infekte, Traumata, anhaltender sozialer Stress, Gifte) kann es zu Veränderungen der Gehirnsubstanz und des Nervenstoffwechsels kommen (...). Diese Veränderungen können die Entstehung einer Psychose begünstigen. (...) Auch die frühkindliche Umgebung und die Familienatmosphäre sind wichtige Einflussfaktoren. (...)
Im Zusammenspiel mit akuten Belastungen (berufliche Überlastung, Übernahme neuer Lebensaufgaben, Ärger und Enttäuschungen, Verluste, Ortswechsel etc.) führt die erhöhte Verletzlichkeit zu einem erheblichen Ungleichgewicht im Nervenstoffwechsel. Je höher die Vulnerabilität ist, desto weniger auffällig müssen die Auslöser sein, um die Erkrankung in Gang zu bringen. (...)
Medikamente gegen Psychosen heißen Antipsychotika, gebräuchlich ist auch die Bezeichnung Neuroleptika. (...) Bei Psychosen ist die Behandlung mit Antipsychotika allen anderen Therapieformen überlegen (Bäuml 2008). 70 bis 80 Prozent der nicht mit Antipsychotika behandelten Patienten erkranken innerhalb eines Jahres erneut. Durch Antipsychotika kann das Rückfallrisiko im ersten Jahr auf 20 Prozent gesenkt werden. (...)
Zusätzlich kommt es häufig (...) zu (...) Nebenwirkungen, beispielsweise einer starken Gewichtszunahme. Dies ist natürlich sehr abschreckend für die Betroffenen und hat mitunter das Absetzen der Medikamente zur Folge.
Luc Ciompi (1989) formulierte zehn grundlegende therapeutische Prinzipien für den Umgang mit schizophren erkrankten Menschen:
(...) Die meisten Betroffenen versuchen zu verstehen, welchen Sinn die Psychose in ihrem Leben hat. Es gibt viele Hinweise darauf, dass die Krankheitsbewältigung besser gelingt, wenn Betroffene einen solchen Sinn erkennen können.
Professionelle Helfer sollten versuchen, den Betroffenen zu helfen, ihre Psychose-Erfahrung mit ihrer Lebenserfahrung in Verbindung zu bringen. Dies gelingt nur, wenn sie einen Schritt in die Welt des anderen wagen (Bock 2013). Dabei ist es für den Beziehungsaufbau hilfreich, verstehen zu wollen, welche Bewältigungsstrategien der Betroffene gewählt hat, wie er die Krankheit in sein Selbstbild integriert hat und dabei nicht zu bewerten.
So kann es für einen Betroffenen subjektiv durchaus sinnvoll sein, die Krankenrolle als neue Identität anzunehmen und in ihr zu verharren, vor allem, wenn die Rückkehr in die Realität weniger attraktiv erscheint als die Psychose. Auch das Bagatellisieren der Erkrankung oder das Ausblenden von Krankheitsphasen, an die man sich nicht erinnern kann oder will (...) sind mögliche Strategien. (...)
An einer Psychose erkrankt zu sein bedeutet nicht, permanent krank oder von Erkrankung bedroht zu sein. Die gesunden, symptomfreien Zeiten überwiegen bei den meisten Betroffenen. Allerdings muss man sich aktiv darum kümmern, stabil zu bleiben. Leider kann man das Risiko einer erneuten psychotischen Krise nicht mit einem Teststäbchen im Urin überprüfen. Die wichtigste Maßnahme zur Rückfallprophylaxe ist deshalb die Beachtung von Frühwarnzeichen.
In Krisenzeiten fällt es oft schwer, zu überlegen, was man für sich tun kann, deshalb sollte man in ruhigeren Lebensphasen einen Plan und entsprechende Strategien zur Rückfallprophylaxe erarbeiten. In einem Krisenplan wird das Vorgehen bei einem drohenden Rückfall schriftlich festgelegt. Ein Krisenplan ist ein Leitfaden für Betroffene, Angehörige und professionelle Helfer, um beim Auftreten von Frühwarnzeichen rasch das Richtige zu tun (Bäuml 2008). Ein Krisenplan enthält vier Elemente:
Neben (...) allgemeinen Entlastung- und Unterstützungsmöglichkeiten gibt es einen großen Schatz an individuell verschiedenen Strategien. Alle Betroffenen haben die Erfahrung gemacht, dass bestimmte Verhaltensweisen hilfreich für sie sind, andere dagegen nicht. Manches haben sie dabei durch Zufall entdeckt.
Nicht selten sind subjektive Strategien wirksamer als die Vorschläge professioneller Helfer. Immer sind sie Zeichen enormer Lebenstüchtigkeit in der Krankheitsbewältigung. Wichtig ist es, mit den Betroffenen über dieses subjektive Erfahrungswissen zu sprechen. Erfahrungsberichte darüber, welche Bewältigungsstrategien sich in der Vergangenheit bewährt haben, können auch für andere Betroffene sehr interessant sein.
Letzte Aktualisierung: 27.11.2024