Vorweg ist festzustellen, dass das Buch zentrale Probleme der professionellen Pflege aufgreift. Daher kann eine Besprechung des Buches nur ausgewählte Aspekte aufgreifen und Neugier wecken, das Buch selbst zu lesen sowie den eigenen Standpunkt zu überprüfen. Die Autoren machen auf unterschiedliche Weise deutlich, dass die Pflegeberufe sowohl von der gesamtgesellschaftlichen Wertediskussion als auch von der pflegerischen Berufsauffassung jedes einzelnen Vertreters / jeder einzelnen Vertreterin abhängen.
Der erste Teil des Buches befasst sich mit »Berufsstolz«: »Berufsstolz beurteilt die persönliche Leistung, in welcher Art und Qualität der eigene Beitrag zur Wertschöpfung des Prozesses gehört. […] Somit beschreibt Berufsstolz eine Haltung, die auf einer kognitiven Überzeugung basiert und von Emotionen begleitet wird.« (S. 24) Betont wird, dass Pflegearbeit eine unaufschiebbare Reaktion auf direkte menschliche Bedürfnisse sei und dass diese Leistungen sichtbar sein bzw. sichtbar gemacht werden müssen. Zentral ist dabei, dass diese Dienstleistung in persönlicher und fachlicher Weise erbracht wird und dass die Qualität und Individualität nicht so einfach von einer anderen Person ausgeführt werden kann. In diesem Kapitel werden vor allem die Facetten und Auswirkungen des Berufsstolzes sowie die Pflegekunst beschrieben und unterschiedliche Begriffe beleuchtet wie Berufswahl, Selbstwertgefühl, Leidenschaft, Sinnhaftigkeit, Mut und Motivation sowie Identität und Individualität.
Der zweite Teil ist mit »Pflege als Beruf« überschrieben, dabei wird sowohl die Vielfältigkeit als auch der umfassende Ansatz der Pflege in den Fokus genommen, aber auch die Bildung in Aus-, Fort- und Weiterbildung oder Studium. Hier finden die unterschiedlichen pflegerischen Berufsfelder und Arbeitssituationen ihren Platz, aber auch die interprofessionelle Zusammenarbeit, Kooperation und Koordination. »Die Pflegeberufe sollten offen, kooperativ und interessiert am Wirken anderer sein – die Pflegefachkräfte sind oft die Schaltstelle zwischen Medizin, Physio- und Ergotherapie oder Sozialarbeit.« (S. 135) Deutlich angesprochen wird, dass man in Deutschland der Akademisierung zum Teil skeptisch gegenübersteht, während sie international inzwischen zu einem unverzichtbaren Teil der Versorgungssicherheit und Qualität der primären Gesundheitsversorgung geworden ist.
Im dritten Teil kommen belastende Arbeitssituationen einschließlich der Ökonomisierung des Gesundheitswesens zur Sprache. Im Zuge dieser wurde »die DRG (Diagnosis Related Groups), deutsch: diagnosebezogene Fallpauschalen eingeführt. Seither wird in Teilen des Gesundheitswesens angestrebt, Gewinne zu erzielen. Allerdings zielen viele der freigemeinnützigen und öffentlichen Einrichtungen nicht auf Rendite und Gewinne ab, sondern auf Wirtschaftlichkeit. Das ist ein wichtiger Unterschied zu den privaten Trägern.« (S. 146)
Schließlich wird im Teil vier die Frage gestellt: »Was können wir tun?« Gleich zu Beginn wird festgestellt, dass es viele Möglichkeiten gibt, »Berufsstolz« zu entwickeln, dabei geht es um die Sprache, das Selbstverständnis sowie ethische Grundlagen, aber auch um Organisation, Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnen sowie die eigene Gesunderhaltung. Die Bedeutung, sich zu organisieren, soll an dieser Stelle hervorgehoben werden. »Wir empfehlen Pflegenden zu berücksichtigen, dass die Verbesserung der Rahmenbedingungen kein Selbstläufer ist und sie selbst aktiv werden müssen.« (S. 237)
Folgerichtig wird im fünften Teil dann eine weitere Frage gestellt: »Was können Sie selbst tun?«, in dem der/die Einzelne dazu aufgefordert wird, klare Botschaften an unterschiedliche Zielgruppen zu senden wie Kollegium, Politik, Medien und Gesellschaft, um das Image der Pflege positiv zu verändern. Es wird aufgefordert, sich immer wieder selbst Mut zuzusprechen.
Viele Beispiele und formulierte Aufgaben sollen zum Nachdenken und zur Reflexion des eigenen Standpunktes beitragen. Als Beispiel sollen die Ausführungen zum Arbeitsporträt der psychiatrischen Pflege dienen: »Wir alle sind Ressourcen für die Patienten. Darauf können psychiatrisch Pflegende inzwischen stolz sein. Sie werden nicht mehr als Erfüllungsgehilfen und Handlanger der Ärztinnen und Ärzte wahrgenommen. Psychiatrisch Pflegende leisten einen ganz eigenen Beitrag, sie repräsentieren eine mögliche Realität, bauen Beziehungen auf.« (S. 293)
Bleibt zu wünschen, dass das Buch die seit Jahrzehnten anhaltenden Diskussionen voranbringt und die grundlegend notwendigen Veränderungen in der professionellen Pflege endlich umgesetzt werden. Es irritiert jedoch gleichzeitig, dass in den letzten 30 Jahren sowohl in der Ausbildung als auch in den grundständigen Studiengängen nicht mehr pflegerisches Selbstverständnis und Identität im Beruf entstanden sind. Und es stimmt etwas traurig, dass es eines solchen Buches bedarf, da es bisher ein solidarisches Miteinander nur in wenigen Kontexten in den seit Jahrzehnten diskutierten dringenden Reformen und Veränderungsnotwendigkeiten der professionellen Pflege gibt. Trotzdem gibt es einzelne Pflegekräfte, die von ihrem Beruf persönlich, kognitiv und emotional überzeugt sind und sich entsprechend im Alltag verhalten, also »Berufsstolz« zeigen!
Hilde Schädle-Deininger in Soziale Psychiatrie
Letzte Aktualisierung: 12.04.2024