FRITZ steht für »Frühinterventions- und Therapiezentrum«, welches sich am Berliner Vivantes Klinikum Am Urban seit 2014 etabliert hat. Das FRITZ versteht sich als präventiv und frühintervenierend wirksame Anlaufstelle für Jugendliche und junge Erwachsene mit ersten oder sich anbahnenden psychotischen Krisen; die anvisierte Klientel des FRITZ ist nicht durch Depressionsbetroffenheit gekennzeichnet.
Die Verfasserinnen und Verfasser strukturieren ihr Thema dreiteilig. Die Grundlagen des Arbeitsansatzes werden behandelt, seine Praxis kommt zur Darstellung und es sind Hinweise zur Implementierung des Modells enthalten. Dem dreiteiligen Haupttext sind Betroffenenberichte vorangestellt. Abgesehen vom auf »Nutzerseite« begrüßten Jobcoaching und Perspektivenentwickeln wird der Arbeit des FRITZ hier ein moderner, permissiv-reframender Umgang mit psychotischer Symptomatik attestiert (beispielsweise, wenn Maggie, 26, ihre Dankbarkeit dafür ausdrückt, dass Psychosen dort – so lange wie eben nötig und im Hinblick auf Genesung förderliche Weise – als »horizonterweiternde Erlebnisse« gelten durften). Unter Berücksichtigung aktueller Forschung fragt der erste Hauptteil sodann nach dem Sinn lebensgeschichtlich früh einsetzender Versorgungsangebote und trägt zum Verständnis psychotischer Episoden und deren Einbettung in entwicklungspsychologische Zusammenhänge bei. Hieraus wird eine anzuzielende therapeutische Haltung abgeleitet, deren konkrete Umsetzungsmöglichkeiten umrissen werden. Der zweite Teil stellt die therapeutischmedizinischen Bestandteile des FRITZ-Angebots vor, wobei der Initiierung der Kontaktaufnahme und der Vermeidung von Kontaktabbrüchen besonderes Augenmerk gilt. Der letzte Teil behandelt Managementfragen sowie die institutionelle Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung des Konzepts.
Vor dem Hintergrund empirischer Daten ist es erklärte Absicht der FRITZ-Mitarbeiter, der häufigen Skepsis Betroffener gegenüber psychiatrischer Behandlung Rechnung zu tragen. Durch Forschung belegt ist z. B. die verbreitete Einschätzung, dass Wünsche und Anliegen im Versorgungssystem zu wenig gehört werden, dass persönliche Ziele und die Ziele der Behandlung zu wenig übereinstimmen. Es ist mittlerweile gesicherte Erkenntnis, dass junge Menschen vorrangig nicht Symptomreduktion und anhaltende Remission verfolgen möchten, sondern psychosoziale Anliegen wie den beruflichen Beginn, den Aufbau einer Partnerschaft usw. Da das FRITZ sich zur klientenzentrierten Psychiatrie zählt, versucht es entsprechend, die psychosozialen Aspekte im Leben der Betroffenen besonders zu befördern.
Das vorliegende Buch dokumentiert Untersuchungen bezüglich der Wirksamkeit solcher (in Deutschland unterrepräsentierter) Arbeit. Spezialisierten Zentren wie dem FRITZ gelingt es offenbar, für die mit ihnen in eigener Sache kooperierenden Menschen eine geringere Symptomschwere, ein niedrigeres Risiko für Behandlungsabbrüche oder stationäre Aufnahme sowie eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Aufnahme einer beruflichen Laufbahn zu erreichen. Über diese Versorgungserfolge hinaus ist es Absicht des FRITZAnsatzes, die international als effektiv evaluierten Strategien nachhaltig auf das deutschsprachige Versorgungssystem zu übertragen.
Das FRITZ-Team betont die Integration der Psychose-Erfahrung in das Selbstbild. Normalisierung (im Gegensatz zu einer traditionell-psychiatrischen Skandalisierung) und Erfassen von Sinn und Bedeutung der Psychose-Erfahrung werden als Zielvorstellungen genannt. Die Inhalte von Psychosen werden psychologischem Verständnis grundsätzlich für zugänglich gehalten, weswegen sich die Teammitglieder den subjektiven Erfahrungsberichten der Betroffenen mit »Neugier« nähern sollen. Psychotisches Erleben erscheint perspektivisch als Ausdruck unerfüllter existenzieller Bedürfnisse, gerade auch im Bereich interpersoneller Beziehung, weswegen sich das FRITZ »komplementärer Beziehungsgestaltung« verpflichtet fühlt, die sich auf die Bedürfnisse der Betroffenen einzustellen versucht – nicht zuletzt um für diese positive (erfreuliche, befriedigende) Erfahrungen zu initiieren. Unverständlich erscheint es in diesem Zusammenhang, warum der Wunsch, endlich »die Welt zu verstehen«, auf S. 67 in einem der etwas zu zahlreichen Schautafelschemata als rein psychotisches Erleben pathologisiert wird.
Das sehr wichtige Ziel der Selbstwertstabilisierung wird im Buch mehrfach erwähnt. Zur Frage, wie es zu erreichen ist, findet sich die Formulierung »wertfreie Räume schaffen«. Dass hierfür der Verzicht auf Negativurteile und Abwertungen in der Mikrokommunikation der Profis erforderlich ist und stetig reflektiert werden muss, wird kaum behandelt. Das bloße Nennen einer nicht weiter konkretisierten Absicht lässt diesen Aspekt im beeindruckenden Gesamtkontext unterreflektiert erscheinen.
Das vorliegende Buch bietet wertvolle Einblicke in psychiatrischen Fortschritt, wie er sich im klinikaffinen Bereich psychiatrischer Versorgung junger Menschen zurzeit zeigen kann. Die Betonung der Beziehungsgestaltung auf Augenhöhe hierbei gibt Anlass zur Zuversicht im Hinblick auf eine wahrhaft förderliche Zusammenarbeit von denjenigen, die im FRITZ-Kontext aufeinandertreffen.
Florian Herbst in Soziale Psychiatrie
Letzte Aktualisierung: 17.04.2024