Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie
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Psychiatrie Verlag

Systemisch-lösungsorientierte Therapie - Ein Handbuch für den ziel- und ressourcenorientierten Einsatz in der Ergotherapie

Seit Ende der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts gehören systemische Therapieansätze zum Repertoire ambulant und stationär praktizierender Behandler. Ausgehend von den Überlegungen des Konstruktivismus wird postuliert, dass jeder Mensch seine individuelle, erfahrungsgeleitete Sicht auf die Welt hat. Gerade auch der rat- oder therapiesuchende Mensch ist Experte für seine subjektive Welt(-sicht). Jeder Mensch hat mit seinen individuell verfügbaren Voraussetzungen und Erfahrungen bereits eine Fülle von Entscheidungen getroffen und Veränderungen in seinem bisherigen Leben bewirkt. Systemtherapeutische Interventionen zielen darauf ab, mit dem Patienten und der Patientin seine oder ihre Ziele für die Zukunft zu identifizieren, die jeweiligen Ressourcen bewusst zu machen und so Zugang zu Lösungen zu eröffnen.

Pionierinnen und Praktiker dieser Therapierichtung waren u.a. Insoo Kim Berg (1934–2007) und Steve de Shazer (1940–2005) vom Brief Familiy Therapy Center in Milwaukee, USA. Sie haben induktiv, aus der therapeutischen Praxis heraus eine Reihe von systemtherapeutischen Techniken entwickelt, u.a. das Skalieren, zirkuläres Fragen oder die berühmte »Wunderfrage«.

Gesa Döringer ist Ergotherapeutin mit einer Zusatzqualifikation in systemisch-lösungsorientierter Therapie und Beratung. Mit dem vorliegenden Handbuch möchte sie Ergotherapeuten dabei begleiten, »sich die lösungsorientierte Perspektive zu eigen zu machen und die Interventionen anzuwenden« (Klappentext). Beiden Therapierichtungen sei gemeinsam, so Döringer, dass sie Wert legen auf Aktivität/Betätigung der Klientel. Fokussiert werden Ressourcen und Ziele in der Zukunft, nicht die Symptome bzw. Defizite aus Vergangenheit und Gegenwart. Die gleichermaßen faszinierende wie anspruchsvolle Aufgabe: weg vom problem-talk, hin zum solution-talk.

Das Handbuch ist in sechs Kapitel übersichtlich gegliedert. Die ersten beiden dienen der Einführung in konstruktivistische Grundlagen und erläutern die Entstehung der lösungsorientierten Therapie. Drittens stellt Döringer ein Beschreibungs- bzw. Rückkoppelungssystem für Veränderungsprozesse vor (OSKAR-Modell, ein Akronym aus Outcome – Situation/Skalierung – Know-how – Affirm/Action – Review), das Orientierung in der – nicht immer geradlinig verlaufenden – Therapie ermöglicht. Auf weiteren 120 Seiten wird dann ein Werkzeugkasten systemisch-therapeutischer Methoden und Techniken gepackt. Von lösungsorientierter Gesprächsführung über lösungsorientierte Interventionen geht es hin zu abschließenden Betrachtungen der »systemisch-lösungsorientierten Brille«, die es aufzusetzen gelte.

Mit Erwerb des nicht ganz billigen Taschenbuchs erhält die Leserin per Download Zugriff auf Reflexionsbögen und Arbeitsblätter, insgesamt 18 PDF-Dateien. Die ein- oder mehrseitigen Kopiervorlagen sollen Patienten und Anwenderinnen verschiedene Aufgabenstellungen präzise übermitteln und das Verbalisieren erleichtern. Nicht zuletzt helfen Reflexionsbögen der Leserin des Handbuchs, das angebotene Wissen auf die eigene Praxis zu beziehen.

Lohnt sich die Anschaffung, und für wen? Mit Sicherheit ist es ein guter Gedanke, die Handlungsorientierung der Ergotherapie mit der Ressourcen- und Lösungsorientierung des systemischen Ansatzes zu verbinden. Der Rezensent, der weder Ergo- noch Systemtherapeut ist, vermisste während der Lektüre das eine oder andere Fallbeispiel zur Veranschaulichung. Der Werkzeugkasten ist definitiv prall gefüllt – aber mir wurde nicht immer ganz klar, wann welches Tool auszupacken sei. Immerhin setzt das Handbuch dem fortbildungswilligen Ergotherapeuten wertvolle Anreize, in einer DRG-finanzierten Umwelt nach den Ressourcen von Patient und Umwelt zu schürfen – und das ist gut so.

Martin Osinski in Soziale Psychiatrie

Letzte Aktualisierung: 17.04.2024