Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie
Dachverband Gemeindepsychiatrie
Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen
Psychiatrie Verlag

Psychodynamische Psychosen-Psychotherapie

Wie behandelt man Psychosen? Vor allem mit Psychopharmaka, ist die heute gängige Antwort der Psychiatrie. Dass es auch anders geht, schildert der hier besprochene Sammelband, herausgegeben vom Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Nicolas Nowack. Zwanzig Beiträge, allesamt in den letzten Jahren entstanden zu Tagungen der deutschsprachigen Sektion der International Society for Psychological and Social Approaches to Psychosis (ISPS), deren Sprecher Nowack ist, sind in dem Band in sechs Hauptabschnitten versammelt.

Der Leser beginnt am besten mit dem letzten Beitrag, der die »Geschichte der ›ISPS-Germany‹ – von der Gründung 1975 bis heute« schildert und den Rahmen für das umfangreiche Buch liefert. Hier erfährt man über die Entwicklung hin zu einem deutschsprachigen Fachverband und davon, dass die psychodynamische und soziale Behandlung von Psychosen in der deutschen Psychiatrie »ständig präsent« war – wenngleich vornehmlich »im Stillen«.

Erst in den letzten ca. 20 Jahren »rücken […] wieder vermehrt psychotherapeutische Ansätze bei der Behandlung psychotisch Erkrankter in den Vordergrund«, so die Autoren. Wobei der ISPS »die Offenheit des Arbeitskreises für verschiedene Methoden, für unterschiedliche Berufsgruppen [und auch] verschiedene Arbeitsfelder« wichtig ist. Erfreulich, dass es dergestalt zu einer Verbindung von (Gruppen-)Psychotherapie und Sozialpsychiatrie kommt.

Thematisch geht es in Teil I zunächst um »Psychoanalytisch orientierte Ansätze«. Geschildert werden hier eine psychodynamische Vorgehensweise aus dem »Dänischen Nationalen Schizophrenie-Projekt«, Möglichkeiten und Grenzen der psychoanalytischen Familientherapie, eine Sicht auf die Fremdartigkeit psychotischer Erfahrung aus dem Blickwinkel der Daseinsanalyse sowie die mentalisierungsbasierte Psychotherapie in der Psychosenbehandlung. All diesen Ansätzen ist gemein, dass es um ein Verständnis von Menschen in psychotischen Zuständen geht und dass psychotische Symptome – ganz im Gegensatz zur biologischen Denkweise! – als »Versuche [wahrgenommen werden], sich auszudrücken, sich mitzuteilen«, mithin in ihrer »beziehungs-dynamischen Bedeutung«.

Im zweiten Teil wird dann versucht, psychotherapeutische Beziehungen mittels der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) zu verstehen. Für psychotische Störungen kann das bedeuten, dass »objektgerichteten Sehnsüchten eine strukturelle Vulnerabilität des Selbst gegenübersteht, die eine Annäherung des Objekts zur existentiellen Bedrohung werden lässt«. Welch eine Herausforderung für den Therapeuten! Es folgen verschiedene Falldarstellungen, z.B. eine mehrdimensionale Depressionsbehandlung mit Fokus auf der Emotionsregulation persönlichkeitsstrukturell betroffener Patienten oder die Kasuistik einer peripartal schizophren erkrankten Mutter (dargestellt unter psychodynamischen Aspekten).

Teil III widmet sich der »Gruppenanalyse und Gruppenarbeit« im psychiatrischen Feld. Und sieht in einem abschließenden Kapitel »[die] psychotische Krise als Chance zur Neuorientierung«. Dargestellt wird dies anhand der Arbeitsweise eines schwedischen Krisenteams, das nach dem Konzept des sogenannten Fallschirmprojekts mit einem gemischt individual-, familien- und sozialtherapeutischen Ansatz bei erstmalig an einer Psychose Erkrankten eine »weiche Landung« (inkl. Medikamentenreduktion) ermöglichen will.

In Teil IV kommen in beeindruckender Weise »Soziale Therapien« zur Sprache: unter anderem ein Gruppenansatz, der kreative Tätigkeiten, die Menschen als Hobbys pflegen, dazu nutzt, um »Kontakte zwischen psychisch erkrankten und nicht erkrankten Menschen herzustellen« – damit sowohl therapeutisch als auch antistigmatisierend wirkend. Auch die in Deutschland seltene Möglichkeit einer stationären Reha bei Psychosen wird thematisiert.

Nach der in Teil V vorgenommenen Hinwendung zur Einrichtung Psychiatrie selbst mit ihren sich verschlechternden äußeren Bedingungen (Bürokratisierung, Personalabbau etc.) sowie einem herausragenden Kapitel zum Umgang mit Gefühlen von »Macht und Ohnmacht in der Psychiatrie« endet das Buch schließlich in Teil VI mit einem historischen Rückblick, in dem die frühen Beiträge zur »Psychotherapie der Schizophrenie« aus den Jahren 1948–1956, verbunden mit dem berühmtem Burghölzli in Zürich sowie großen Namen wie Manfred Bleuler, Medard Boss, Gaetano Benedetti u.a., gewürdigt werden. Faszinierend auch die psychodramatherapeutische Arbeit mit Psychotikern nach J. L. Moreno, in Theorie und Praxis hautnah vorgestellt von einer seiner frühen Schülerinnen.

Ein wichtiges Buch, das endlich mal andere, alternative oder zumindest ergänzende Ansätze zur biomedizinischen Psychosentherapie sichtbar macht. Man wünscht sich, dass die ISPS-Germany, ihrem »Ziel einer psychotherapeutisch orientierten psychiatrischen Versorgung und Behandlung« folgend, dem weitere Veröffentlichungen folgen lässt.

Jürgen Karres in Soziale Psychiatrie

Letzte Aktualisierung: 17.04.2024