Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie
Dachverband Gemeindepsychiatrie
Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen
Psychiatrie Verlag

Schritt zur Abhilfe

Es gibt Momente, da scheint die Versorgungswirklichkeit die inhaltliche Grundlegung rasant zu überholen. Während Transgender und non-binäre Menschen immer häufiger an die Türen psychotherapeutischer Praxen und psychiatrischer Kliniken klopfen, finden sich Bücher dazu nur selten. Mit dem Buch »Transgender und non-binäre Menschen in der Psychotherapie« kommt nun einer der wenigen Schritte zur Abhilfe. Bei der Begleitung von Transgender und non-binären Menschen geht es vor allem um eine Unterstützung bei der persönlichen Entwicklung, »die sie oft selbst als Anpassung oder gar Umwandlung an das erlebte Geschlecht erleben« (aus dem Vorwort). Auch in der Einführung schreibt Rautenberg: »Die Kommunikation mit den Betroffenen oder ihre Bezeichnung sollte vor allem eines: ihren Wunsch akzeptieren. Transgender oder non-binär ist als eine Normvariante der Geschlechtsidentität zu verstehen und eben nicht als Krankheit oder Störung« (S. 11).

Bewusst sollte den psychiatrisch-psychotherapeutischen Praktizierenden und den Lesenden die Prämisse sein, dass eine sexuelle Orientierung und eine Geschlechtsidentität nicht zu behandeln, sondern vielmehr zu begleiten ist. Nur so können Praktizierende und Lesende im Umgang mit den Begrifflichkeiten und letztendlich mit den Phänomenen an sich Sicherheit gewinnen. Rautenberg unterscheidet zwischen dem biologischen, dem sozialen und dem subjektiven Geschlecht. Auch beim Umgang mit Transsexualismus, Intersexualität und Transvestismus sorgt Rautenberg für mehr Klarheit. Bei seinen Erklärungen und Fallbeispielen bleibt Rautenberg nahe bei den Betroffenen. Aus seinen Worten ist eine große Erfahrung in der Begleitung von Transgendern und non-binären Menschen erkennbar.

Aufmerksamkeit schenkt Rautenberg in besonderer Weise Transkindern und vorpubertären Jugendlichen. Die psychotherapeutische Begleitung dieser Menschen erfordere »ein noch größeres Maß an Sensibilität« (S. 60). Unter anderem stellt Rautenberg in diesem Zusammenhang fest: »Die psychotherapeutische Begleitung von Transkindern sollte ... immer ergebnisoffen sein. Es ist niemals Ziel, geschlechtsatypisches Verhalten zu beseitigen oder eine erlebte Geschlechtsinkongruenz zu korrigieren« (S. 59). Auch ein möglicher Transitionsprozess wird in allen Aspekten beleuchtet.

Rautenbergs Buch, das die wissenschaftlichen Fakten genauso im Blick hat wie die praktische Relevanz einzelner Fragen, ist eine ausgezeichnete Annäherung an ein Thema, das in der Versorgungswirklichkeit immer mehr an Bedeutung gewinnt. Dabei ist es gut zu lesen und macht an der einen oder anderen Stelle neugierig auf mehr.

Wie so oft, entscheidend ist die Haltung, mit der man den Betroffenen begegnet. Rautenberg gibt auch da eine hilfreiche Orientierung: »Doch unser gesellschaftliches Verständnis von Normalität ist in einem ständigen Wandel, und wir erkennen im-mer mehr, dass es in vielen Bereichen Varianten der Normalität gibt und immer wieder geben wird, welche vielleicht jenseits unserer Vorstellungskraft liegen mögen« (S.89).

Christoph Müller in Psychosoziale Umschau

Letzte Aktualisierung: 17.04.2024