Dorothea Buck appelliert in ihrem Erlebnisbericht "Auf der Spur des Morgensterns" für eine humanere Psychiatrie. Wie ein ungehörter Hilfeschrei durchzieht die Kernaussage, dass die Ärzte und das Anstaltspersonal Gespräche mit an Schizophrenie erkrankten Menschen führen sollen, das ganze Buch. "Sie trauten sich wohl nicht mit uns zu reden, denn die Ärzte hatten jedes Gespräch mit uns für sinnlos erklärt."
An mehreren Stellen wird diese Kritik an der Psychiatrie wiederholt und stellt ein Hauptanliegen des Erlebnisberichts dar, der erstmals 1990 unter dem Pseudonym Sophie Zerchin erschien und nun vom Paranus-Verlag Neumünster und dem Anne Firscher-Verlag in Norderstedt neu und um aktuelle Entwicklungen ergänzt aufgelegt wurde.
In welche Psychiatrie Buck, Jg. 1917, im Zuge ihrer zwischen 1936 und 1959 erlebten schizophrenen Schübe auch kommt, nirgends wird mit ihr gesprochen. Stattdessen erhält die Bildhauerin und spätere Fachschullehrerin für Kunst und Werken von den Ärzten die Stempel "unheilbar krank" und "geisteskrank" aufgedrückt.
Bucks Botschaft dagegen lautet: Innere Impulse, die in der Psychose freigesetzt werden, muss man sich bewusst machen, um daraus die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Dieser Prozess ist um so leichter für einen durchschaubar, desto mehr Psychosen man durchlebt hat. Beispielsweise identifiziert Buck sich mit dem Symbol "Braut Christi", was die Bedeutung hat, dass sie ihre eigene Natur entwickeln muss. Oder Buck spürt, dass eine neurologische Station eines offenen Betheler Hauses nichts für sie ist, was einen Nach-Schub auslöst.
Ähnlich wie im Traum werden verdrängte, untergegangene Aspekte der Persönlichkeit in der Psychose sichtbar. Jedoch können wir heutzutage unsere Träume entschlüsseln, es gibt zahlreiche Bücher zu diesem Thema, bei der Psychose stehen wir aber noch in den Anfängen.
Als Patient sollte man nicht blind den Medikamenten Vertrauen schenken, rät Buck in ihrem Erlebnisbericht, da diese einen oft nur in einen Dämmerzustand versetzen würden und deshalb nur wenig hilfreich seien. Psychotische Gedanken hätten ihren Sinn und sollten nicht als krankhaft beiseite geschoben werden. "Wir müssen es verstehen und integrieren."
Buck erlebt die Psychiatrie der alten Schule am eigenen Leib. Zwangssterilisation inclusive – auch hier gab es vorher kein Gespräch. Einen späteren Suizidversuch bricht sie ab. Buck war zeitweise zwischen Leben und Tod hin- und hergerissen. Trotzdem hat die in Hamburg lebende Ehrenvorsitzende des Bundesverbands der Psychiatrie-Erfahrenen und Mitbegründerin der Psychose-Seminare es geschafft. Nach fünf psychotischen Schüben ist sie bis heute nie wieder psychotisch geworden. Im ergänzenden Kapitel der Neuausgabe "Wie es weiterging" berichtet Buck wenig Persönliches.
Dem Kampf für eine bessere Psychiatrie mit ihren Erfolgen und Niederlagen gilt ihr Engagement. Von bahnbrechenden, fortschrittlichen Veranstaltungen wird berichtet. Zumeist ist dann der Psychoseerfahrene der Fachmann. Abschließend wird Soteria als eine Alternative mit weniger Zwangsmaßnahmen und weniger Medizin vorgestellt. Leider wurde dieser Weg nicht bis zum Ende konsequent beschritten, sodass er aktuell in Deutschland nicht umgesetzt wird. Und das, obwohl dieser Weg ohne Mehrkosten gangbar wäre, wie die Autorin erläutert.
Bei allen Beschreibungen bezieht Buck klare Positionen. Erstaunlich ist ihre Stärke. Buck weiß genau, was ihr gut tut und was nicht. Durch ihr selbstständiges Denken wendet sich ihre Erkrankung zum Besseren und sie kann sich für einen Wandel in der Psychiatrie einsetzen. Sie verarbeitet unwürdige Behandlungsmethoden, indem sie klare Alternativen einfordert. Das Buch ist für diejenigen geeignet, die glauben, die Psychose könne einen Beitrag zur Selbstfindung liefern und sei ein Schritt in der persönlichen Entwicklung. Oder die sich für einen Weg interessieren, der über Medikamenteneinnahme hinaus geht.
Gerald Köhn im Eppendorfer
Letzte Aktualisierung: 17.04.2024