Können Sie sich vorstellen, was passiert, wenn eine Ethnologin, eine Philosophin, eine Journalistin und eine Psychiatrieerfahrene das Hilfesystem von heute betrachten, unsere mehr oder weniger befremdlichen oder künstlichen Umgangsformen zugleich phänomenologisch und subjektorientiert von innen beschreiben? Welchen Stellenwert werden wohl der Trialog, die partizipative Forschung und die Peerbewegung haben?
Lea De Gregorio vereint alle vier Berufungen in einer Person, jongliert gekonnt mit ihren Perspektiven. Derart vierfach gespiegelt steht die Psychiatrie ziemlich nackt da: Was machen wir da eigentlich in der Notfallambulanz oder auf der Akutstation und warum? Helfen Diagnosen, sich selbst besser zu verstehen, oder überwiegt die Entfremdung von der eigenen Lebensgeschichte? Wer bestimmt die Sprache, wer hat die Deutungshoheit? Was wirkt, was hilft? Die Selbstherrlichkeit, mit der wir auf bestimmte Techniken oder Substanzen blicken, erscheint mit einem Mal hohl.
Lea De Gregorios Collage entwickelt eine große Kraft – sprachlich und inhaltlich. Sie führt uns an die Orte, an denen authentische, ehrliche Beziehungen stattfinden. Das kann günstigenfalls auch im Gespräch mit professionellen Mitarbeiter:innen geschehen. Aber vor allem entwickelt sie das titelgebende Bild: Verständigung unter den Erfahrenen kann ein Schatz sein. Die Gespräche im Stationszimmer oder im Raucherraum können eine besondere Bedeutung haben. Manchmal geht es um das, was wirklich anliegt – im stationären Überlebenskampf oder im bevorstehenden/zurückliegenden Leben. »Unter Verrückten sagt man du«. Beim Lesen habe ich mich immer wieder gefragt: Gehöre ich dazu? Möchte ich dazu gehören?
Das Buch zu lesen, ist vielen zu empfehlen: den Erfahrenen, die sich Ermutigung wünschen, den Angehörigen, die nicht damit zufrieden sind, wie es läuft, den Profis, die über den Tellerrand schauen wollen. Aber auch über den Trialog hinaus hat das Buch etwas zu sagen: den Interessierten, die hinter die Kulissen schauen wollen, den Normalos, die neugierig geblieben sind, was Verrücktheit bedeutet, den Funktionär:innen und Politiker:innen, auf die es ankommt, wenn wir was verändern wollen. Alle, die das Buch lesen, werden sich an seiner lebendigen Sprache erfreuen.
Thomas Bock in Psychosoziale Umschau
Letzte Aktualisierung: 17.07.2024