Zur Entwicklung einer psychischen Erkrankung, die schon für sich genommen in der Regel einen massiven Einschnitt im Leben eines Menschen bedeutet, gesellt sich schnell eine weitere schwerwiegende Belastung hinzu: das gesellschaftliche Stigma, zu einem (irgendwie) andersartigen Personenkreis zu gehören, inklusive mannigfacher Vorurteile und Ängste. Eines dieser Vorurteile lautet: »Menschen mit psychischen Problemen sind nicht beziehungsfähig«. Dieser Fehlschluss wird im Buch »Paare mit Paketen« eindrucksvoll widerlegt. Elf Paare lassen hier sehr persönliche, sehr intensive Einblicke in ihr gemeinsames Leben zu. Diese Einblicke werden jeweils von einem ausdrucksstarken Porträtfoto eingeleitet, das die Paare in ihrer Innigkeit zeigt und großes Interesse an ihren Geschichten weckt.
Verschiedenste Diagnosen spielen in ihren Beziehungen eine Rolle: ob Depressionen, Autismus, Psychosen, Bipolarität, Essstörungen oder selbstgefährdender Suchtmittelgebrauch, mal bei einem Teil, mal bei beiden Teilen eines Paares. Doch die sich daraus ergebenden Geschichten erschöpfen sich nicht in der reinen Erläuterung von Symptomen und Folgen der Diagnosen. Die respektvollen Reportagen schaffen es vielmehr, fühlbar zu machen, wie Beziehungsarbeit unter solchen Vorzeichen gelingen kann. Sich gegenseitig zu erkennen und anzunehmen in seinem So-Sein, sich gegenseitig zu unterstützen, aber auch Grenzen der Machbarkeit zu spüren: Überforderung und manchmal gar ein Kontaktabbruch für eine gewisse Zeit werden ebenso offen und ehrlich geschildert und machen diese Menschen dadurch nur noch authentischer. Es ist besonders interessant, wie es den Paaren in solchen Krisen gelingt, wieder zueinanderzufinden, welche Kraft echte Zuneigung und Liebe entwickeln kann.
Was viele Menschen durch eine psychische Erkrankung und die damit häufig einhergehenden Therapien erfahren haben: Die Auseinandersetzung mit der eigenen Psyche und der Persönlichkeit, das Reflektieren über die Hintergründe, warum man so ist, wie man ist, und warum man sich in bestimmten Situationen auf eine gewisse Art verhält, macht sie sensibler und verständnisvoller, sich selbst und anderen gegenüber. Auch das machen die unterschiedlichen Texte deutlich. Und vielleicht ist dies ja eine, sicher nicht die einzige, geheime »Superkraft« von »Paaren mit Paketen«. In jedem Fall ist der Autorin Karen-Susan Fessel eine bemerkenswerte Sammlung von Lebensgeschichten gelungen über Partnerschaften, die von psychischen Erkrankungen geprägt sind.
Dieses Buch macht auf eine große Leerstelle in der gesellschaftlichen Wahrnehmung aufmerksam und beginnt mutig und selbstbewusst, diese zu füllen: mit Erzählungen von gelingenden Partnerschaften – nicht nur trotz, sondern vielleicht auch wegen einer psychischen Erkrankung.
Florian Reisewitz in Psychosoziale Umschau
Letzte Aktualisierung: 17.04.2024