Sonja Koppitz ist Journalistin und depressionserfahren. Für ihr gut lesbares und lesenswertes Buch mit dem Untertitel: »Warum psychische Erkrankungen ganz normal sind« ist das eine vielversprechende Konstellation. Das hat Koppitz bereits in zwei Podcasts, die sich mit der Psychiatrie und psychischen Erkrankungen beschäftigen, unter Beweis gestellt (siehe: SP 176). Das Buch widmet sich dem Thema noch einmal – ausführlich und umfassend. Koppitz schildert, wie sie die drei depressiven Phasen erlebt hat, was die Erkrankung für ihre Beziehung bedeutete und was ihr bei der Bewältigung der Depression geholfen hat. »Ich persönlich habe die Psychiatrie als etwas äußerst Menschliches erlebt. Von ExpertInnen wie von Behandelten-Seite. Obwohl ich weiß, dass es nicht allen so geht.« (S. 335) Depressionen und andere psychische Erkrankungen ließen sich nicht verallgemeinern, jeder Betroffene empfindet diese Krisen sehr individuell. Neben den eigenen Erfahrungen, die sie u. a. während eines Klinikaufenthaltes oder bei der Suche nach einer/einem passenden Therpeutin/Therapeuten sammelte, hat Koppitz für ihr Buch Gespräche mit Mitpatientinnen und Mitpatienten, Profis, Angehörigen und Freunden geführt. Sie hat Bücher von anderen Betroffenen (u. a. Klaus Gauger, Benjamin Maack, Miriam Merkel) und Psychiatern (Asmus Finzen, Iris Hauth, Stefan Weinmann) gelesen und zum Forschungsstand zu den Ursachen psychischen Erkrankungen, bei der Suche nach Biomarkern und der Wirkungsweise von Medikamenten recherchiert. Auch verschiedene rechtliche Aspekte werden angesprochen und die Gemeindepsychiatrie und EX-IN zumindest erwähnt. Vielleicht ist es nicht unbedingt ratsam, dass Buch in einem Schwung zu lesen, aber Kapitel wie das anschaulich geschriebene Psychiatrie-ABC zu den verschiedenen psychischen Erkrankungen (»Von A wie Angst bis Z wie Zwang«) richten sich an einen breiten Leserkreis und eignen sich zum Nachschlagen.
Es ist zu spüren, dass sich die Autorin vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hat, anderen Betroffenen Mut machen und für mehr Verständnis in der Gesellschaft werben möchte. Am Ende des Buches greift Koppitz die im Untertitel formulierte Frage nach Normalität und Gesundheit noch einmal auf: »[…] ab wann ist man denn dann eigentlich gesund? Ab dem Zeitpunkt, an dem man akzeptiert, dass man es nie wirklich sein wird, weil Erkrankungen wie zum Beispiel die Depression episodisch immer wieder auftreten können? […] Das Normale, das Gesunde kann also keine allgemeingültige Norm sein. Dazu sind wir alle viel zu verschieden.« (S. 276 f.)
Thomas R. Müller in Soziale Psychiatrie
Letzte Aktualisierung: 17.04.2024