Es ist die Zeit rund um das Jahr 2000 und Abiturient Felix Longolius führt in Hamburg ein weitgehend planloses Lotterleben. Er hängt mit seinen Freunden herum und fehlt oft in der Schule, weil er mit Reggae-Partys, seiner Band und Kiffen beschäftigt ist. Doch irgendwann passieren Dinge, die anders sind als bei seinen Mitschülern: In einer psychedelisch angehauchten Theateraufführung von Alice im Wunderland spielt Longolius den Autoren Lewis Carroll und erkennt im Stück plötzlich reihenweise unterschwellige, an ihn gerichtete Botschaften. Hier wird die Grenze zwischen Realität und Fantasie für ihn zum ersten Mal brüchig.
Halt im Leben gibt ihm nach dem frühen Tod seines Vaters vor allem seine Großmutter. Als auch sie stirbt, nehmen die Irrtümer im Leben des Dauerkiffers zu und auch die Beziehung zu seiner Freundin geht in die Brüche. Er verbringt viel Zeit vor dem Fernseher und erlebt so die amerikanischen Militäraktionen im Anschluss an die Anschläge vom 11. September. Über seine Website »Weltpolizei« glaubt er, die globale Politik mitgestalten zu können und tritt telepathisch mit Geheimdiensten und schließlich mit Außerirdischen in Kontakt, erlebt Verfolgungs- und Größenwahn gleichermaßen. Als die Stimmen überhandnehmen und sein Leben im Chaos zu versinken droht, landet er 2003 im Universitätsklinikum Eppendorf. Die Diagnose: paranoide Schizophrenie.
Mittlerweile 15 Jahre lebt Felix Longolius nun mit den Stimmen in seinem Kopf und erzählt in seinem Buch »Ich mag mich irren« gemeinsam mit der Autorin Charlotte Krüger über sein Leben zwischen Wahnsinn und Wirklichkeit und über seine Erfahrungen mit Kliniken und Betreuern, Therapien und Medikamenten. Rückfälle und die Vorstellung, mit jenen irdischen und überirdischen Wesen in Kontakt zu stehen, die die Weltgeschicke bewegen, lassen Longolius bis heute nicht los und er versucht weiterhin, sein Leben ohne Medikamente in den Griff zu bekommen.
Die Biografie verlangt trotz ihrer Kürze viel Ausdauer vom Leser, denn immer wieder driftet die Erzählung in die ausführliche Beschreibung der Parallelwelt aus Stimmen, Zeichen und deren Deutung ab. Doch gerade deswegen liefert das Autorenduo einen eindrucksvollen und authentischen Erfahrungsbericht, der an vielen Stellen sehr humorvoll ist, gleichzeitig aber offenlegt, wie schwierig es ist, ein stabiles und erfülltes Leben zwischen Realität und Fantasie zu führen.
Peter Heuchemer in Psychosoziale Umschau
Letzte Aktualisierung: 17.04.2024