Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie
Dachverband Gemeindepsychiatrie
Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen
Psychiatrie Verlag

Was wirkt, ist authentische Beziehung

»Ich wäre gerne ihre Freundin? Ich hab sie irgendwie gerne? Niemals ... Sie ist so viel für mich: Vorbild, Mutterfigur, Ratge­ber, Freundin ... Und für sie bin ich doch nur eine Patientin von vielen«, so beschreibt eine der Autorinnen ihre Auseinanderset­zung mit der therapeutischen Beziehung. »Therapie zu starten«, konstatiert sie, »bedeutet, sich in eine zwischenmenschliche Beziehung zu begeben«.

Dieses Beziehungsangebot kommt von der Einzel­ und Grup­pentherapeutin Ellen Orbke. Die Diplom-­Pädagogin und Kin­der­ und Jugendlichentherapeutin hat aus der Arbeit in ihrer ambulanten Praxis heraus ein Buchprojekt entstehen lassen, in dem auch ihre eigene Freude an den Entwicklungsprozes­sen ihrer jungen Patient:innen deutlich wird. Diese haben das Buch maßgeblich durch Erfahrungsberichte und Illustrationen (mit­)gestaltet. Die Texte sind ehrliche, reflektierte und berüh­rende Beschreibungen. In beeindruckender Weise schildern die Autor:innen, wie es ihnen gelungen ist, sich ihren Problemen zu stellen, und welche Ermutigungen und Hinweise sie anderen für eine mögliche Therapie mitgeben. Auch die Erklärungen zur therapeutischen Methode der DBT als »Multiwerkzeug« stam­men von den Jugendlichen selbst.

Alle Jugendlichen haben an der Dialektisch­ Behavioralen The­rapie (DBT) teilgenommen und im Rahmen der Gruppenthe­rapie ein Skillstraining absolviert, in das auch die Eltern einbe­zogen wurden. »Ich sehe die Gruppentherapie als Anstoß für das, was wir heute haben«, beschreibt eine der Jugendlichen das Verhältnis zu ihrem Vater, dem sie sich über das gemeinsame Was wirkt, ist authentische BeziehungTun in der Gruppe wieder annähern konnte. Wie verschiede­ne Situationen in der Therapiegruppe aussehen, kann man sich nach den Schilderungen im Buch gut vorstellen. Ebenso, wie es gelingt, sich den anderen zu öffnen, zu vertrauen, die Erfahrung zu machen, dass Themen wie beispielsweise Transgender und Lernbehinderung sein dürfen und nicht zu Ablehnung in der Gleichaltrigengruppe führen müssen. Und es gibt auch Übun­gen zum Ausprobieren: Wer mag, kann auch direkt die von einer Autorin beschriebenen Yogaübungen für sich testen.

Nicht zu unterschätzen sind der therapeutische Effekt des Schreibens und die Projektarbeit am Buch, das in der Zeit der Pandemie entstanden ist und so auch eine Verbindung zwi­schen Menschen geschaffen hat, als dies eine besondere Her­ausforderung war. Die Herausgeberin hat mit den Jugendlichen gemeinsam ein Autor:innenteam gebildet, das live, hybrid und online in Verbindung stand. Auch dabei wurde die therapeuti­sche Beziehung verhandelt, mit der Erkenntnis: »Alle, die The­rapie anbieten, sind auch nur Menschen, und dass sie sich auf einem anderen Entwicklungsstand und in einer anderen Ver­fassung befinden, muss ja nicht bedeuten, dass man ihnen nicht auf Augenhöhe begegnen kann!«

Das Buch hat zu Recht den Innovationspreis des Dachverbandes DBT 2022 gewonnen. Auch wenn es sich eigentlich an Jugend­liche wendet, ist es gleichermaßen für Eltern und Fachpersonen empfehlenswert. Ein Glossar erklärt weitere therapeutische Me­thoden und im Serviceteil finden sich Ressourcen und Unter­stützung für Jugendliche, Eltern und Fachleute, die Hilfe suchen. Das Buch sollte in keiner Schulbibliothek fehlen. Ich würde ihm überdies wünschen, dass es auch von Fachpersonen in Be­reich der Erwachsenenpsychiatrie/­psychotherapie gelesen wird, denn es ist ein nachahmenswertes Modell für Augenhöhe in psychosozialen/therapeutischen Beziehungen.

Christiane Tilly in Psychosoziale Umschau

Letzte Aktualisierung: 17.07.2024