Martin Regener ist Journalist und depressiv und ein Greenhorn in der Psychiatrie. Eli Sudfeldt erklärt ihm und damit auch allen Leserinnen und Lesern dieses Psychiatriekrimis die Spielregeln einer psychiatrischen Station, auf der es zu seltsamen Todesfällen kommt, deren Ursache das ungewöhnliche Ermittler-Duo natürlich zu ergründen hat.
Die Autorin hat zwei Fliegen mit einer Klappe erwischt: Sie bearbeitet mit einer spannenden Krimihandlung das Thema Neuroleptika – bestens verständlich und gleichwohl auf dem aktuellen Stand der Psychopharmakadebatte. Gleichzeitig wird der Leser in den Alltag einer psychiatrischen Abteilung eingeführt. Schauplatz des Krimis ist keine Schlangengrube, sondern eine modern ausgestaltete, freundliche Station. Hauptperson Eli Sudfeldt agiert immer ein wenig über dem Strich, dabei reflektiert sie über Gott und die Welt, denn sie studiert hauptberuflich Philosophie und Lebenskunst. Sie hat eine gewisse Affinität zu geistigen Getränken und netten, manchmal auch depressiven Männern.
Ich habe mich bei der Lektüre unglaublich amüsiert. Das liegt vor allem an der Schreibe von Cornelia Schmitz, die so wunderbar changiert zwischen Flapsigkeit und elaborierter Weisheit. Es gibt herrliche Running Gags, wiederkehrende Sprüche und Floskeln, mit denen vor allem die Profis die Patienten abspeisen. Man muss als psychisch Kranker immer erst mal zur Ruhe kommen, egal, ob es grade passt oder nicht. Und Fragende werden grundsätzlich auf die Visite verwiesen – die Patienten können dieses Mantra schon im Chor singen. Aber auch die Patienten lieben die Wiederholung: Das Palaver im Raucherzimmer oder den ertricksten Ausgang, der gefeiert wird mit dicken Zigarren und koffeinhaltigen Getränken. Und man erfährt gleich so ganz nebenbei, weshalb gerade die Substanzen Nikotin und Koffein so wichtig für die Konsumenten von Neuroleptika sind. Im Laufe der Handlung lernt man etliche Pflegekräfte und vor allem die Mitpatienten von Eli und Martin kennen. Sie sind anders, daneben und verschieden, aber keine gefährlichen Irren. Vorurteile werden nicht bedient. Sie sind vielleicht vorübergehend entrückt: »In der Welt der Wunder, in der sie lebten, waren Worte ein Behelf für Grünschnäbel.« (S. 166)
Zentrale Paradigmen der Psychiatrie – Henne/Ei oder das bio-psycho-soziale Modell – werden mit wenigen Sätzen an den Leser gebracht (S. 123). Und dass man über Psychosen mit den Betroffenen nicht spricht, und weshalb das für Eli unerträglich ist, braucht grade mal eine viertel Seite: »Das Pflegepersonal und auch die Ärzteschaft vermieden weitgehend Gespräche über den Wahn. Angeblich führte einen das noch tiefer hinein, führte von der ewigen ›Ruhe‹ weg. Das sah Eli ganz anders. Wenn man psychotische Erlebnisse hatte – und sich für den lieben Gott zu halten war ein Erlebnis –, wollte man nichts anderes als den ganzen Tag darüber zu reden. Schließlich musste man das alles geistig bewältigen. Man brauchte wie bei einem Marathon eine Art Auslauf, ein Zu-sich-Kommen. Keinen abrupten Stopp.« (S. 78)
Ich könnte noch viele dieser köstlichen, manchmal auch für uns Profis schmerzhaften Stellen zitieren. Aber, Sie ahnen es ja schon: Kaufen Sie das Buch und lassen Sie sich die süßen und salzigen Reflexions-Dragees auf der Zunge zergehen. »Betreutes Sterben« hat natürlich einen gewaltigen Fehler: Es ist zu kurz. Ich hatte es in Nullkommanix ausgelesen und spürte ein Ziehen in der Magengrube. Dagegen hilft vermutlich nur Band II.
Ilse Eichenbrenner in Psychosoziale Umschau
Letzte Aktualisierung: 17.04.2024