Fünf Jahre nach der Vorauflage ist jetzt bereits die sechste Auflage des Standardwerks zum Betreuungsrecht erschienen. Eine neue Autorin sowie ein neuer Autor und sechzig Seiten Text sind hinzugekommen. Die Überarbeitung der vorausgegangenen Auflage wurde erforderlich, weil der Bundesgesetzgeber in den zurückliegenden Jahren eine Reihe von Änderungen im Betreuungsrecht selbst (§§ 1896 ff. BGB) und in hierzu gehörenden Gesetzen – wie vor allem im Verfahrensrecht (FamFG) und bei der Betreuervergütung (VBVG) – vorgenommen hat.
»Niemand wird unter Betreuung gestellt, und keine Betreuung wird angeordnet.« Nach dem Gesetz gibt es nur die »Bestellung eines Betreuers«. Diese klarstellende Devise in Bezug auf die im Wesentlichen assistierende, aber auch für Entscheidungen verantwortliche Funktion des Betreuers leitet die Kommentierung des Herausgebers und der Bearbeiter.
Die nachfolgende Besprechung konzentriert sich auf die Kommentierung der beiden §§ 1906 und 1906a BGB in ihrer je aktuellen Fassung nach den jüngsten normativen Änderungen zu ärztlichen Zwangsmaßnahmen mit und ohne eine vorausgehende Unterbringung.
Im Überblick zu § 1906 BGB weist der Autor Marschner zunächst darauf hin, dass durch die – geringfügig erscheinenden – Änderungen in Absatz 4 für die Auslegung des Absatzes 1 nun ein enger Unterbringungsbegriff zugrunde gelegt werden kann. Zudem bestünden bei einer rechtswidrigen Unterbringung Strafbarkeit und ein Schadensersatzanspruch. Es folgen als Erläuterungen zu Absatz 1 Ausführungen zu den Begriffen »Betreuung« und »Bevollmächtigung«, ausführlich zu »Freiheitsentziehung« und zur Berücksichtigung des »Wohls des Betreuten« bei seiner Unterbringung. Hier werden anfangs zu Absatz 1 Nr. 1 die Selbstgefährdung thematisiert und deren wesentliche Aspekte dargestellt, um dann zu Absatz 1 Nr. 2 die Voraussetzungen der Unterbringung zur Durchführung ärztlicher Maßnahmen zu erläutern.
Dabei wird auf die Anlasskrankheit, auf psychiatrische Behandlungsmethoden sowie auf die Behandlung von Krankheiten eingegangen, die nicht Grundlage für die Bestellung eines Betreuers waren. Einen breiteren Raum als in der Vorauflage nimmt gegenüber der Unterbringung als Ultima Ratio die Darstellung vorrangiger Behandlungsmöglichkeiten ein.
Gründlich überarbeitet wurde der Anwendungsbereich des Absatzes 4. Die Notwendigkeit zu diesen Modifikationen ergab sich durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2018 zu nicht nur kurzfristigen Fixierungen. Dieses Urteil sei auf andere funktionsäquivalente Maßnahmen vergleichbarer Eingriffsintensität übertragbar. In der Konsequenz sind auch die Ausführungen zu den Voraussetzungen einer entsprechenden gerichtlichen Genehmigung deutlich überarbeitet worden.
Nach der Neuregelung der betreuungsrechtlichen Zwangsbehandlung in den Absätzen 3 und 3a des § 1906 BGB im Jahr 2013 hat das Bundesverfassungsgericht in einer weiteren Entscheidung zu ärztlichen Zwangsmaßnahmen diese von einer vorausgehenden Unterbringung abgekoppelt. Allerdings dürften sie nur im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthalts, keineswegs ambulant, durchgeführt werden. Daraufhin sah sich der Bundesgesetzgeber veranlasst, die noch jungen Normen erneut zu novellieren: Er strich die Absätze 3 und 3a aus dem § 1906 BGB und fügte den § 1906a neu ins BGB ein. Diese Entwicklung und die Bedeutung dieser Änderungen für das Betreuungsrecht werden von Marschner klar nachgezeichnet und verständlich erläutert. Besondere Aufmerksamkeit widmet er dabei der jetzt im Gesetz geforderten vorrangigen Beachtung des Willens des Betreuten sowie ausführlich der Problematik der Einwilligung.
Die veränderten Vergütungen für Betreuer in den §§ 4, 5 und 5a VBVG ab Ende Juli 2019 stellt der Autor von Crailsheim in ihrer Entstehung und ihren Auswirkungen dar. Dabei werden jeweils die alten und die neuen Regelungen zum Abgleich nebeneinander aufgeführt. Ergänzend finden sich in dieser Neuauflage nunmehr auch Tabellen über die vorgesehenen Vergütungssätze, was den Praxiswert dieser Kommentierung deutlich verstärkt.
Durch die neue Autorin Loer wurde die Kommentierung des BtBG behutsam überarbeitet und aktualisiert. Dazu zählen auch der erneute Hinweis auf die zulässige Übermittlung von Sozialdaten gemäß § 71 Absatz 3 SGB X sowie die ggf. erfolgende Information der Betreuungsbehörde über einen Betreuungsbedarf nach § 22 Absatz 8 SGB IX.
Auch die normativen Änderungen in § 312 FamFG – Unterbringungssachen – sind in dieser Auflage von Marschner berücksichtigt worden. Damit befindet sich das Werk auf der Höhe der Zeit. Die gute Lesbarkeit der erläuternden Texte auch und gerade für Nichtjuristen, die sich mit Angelegenheiten des Betreuungsrechts befassen wollen oder müssen, macht die verlässliche Brauchbarkeit und Praxistauglichkeit dieser Kommentierung aus. Das Werk kann daher auch in dieser Auflage uneingeschränkt zum Kauf und zur Nutzung empfohlen werden.
Heinz Kammeier in Soziale Psychiatrie
Letzte Aktualisierung: 26.04.2024