Gerade zu einer Zeit, in der eine fach- und öffentliche Diskussion um die Rolle, die Funktion und den Auftrag »der Psychiatrie« und die bisher mit ihr einhergehenden Zwangsmaßnahmen in Gang zu kommen scheint, bedarf es einer klaren Orientierung darüber, wer wie mit wem rechtlich korrekt umzugehen hat. Seit über hundert Jahren stellt die Psychiatrie in unserem Land nicht nur Behandlungsangebote zur Verfügung, sondern sie ist auch für die zwangsweise und mit Freiheitsentziehung verbundene Abwehr von Gefahren bzw. den Schutz der Allgemeinheit vor krankheitsinduziertem gefährlichen Verhalten zuständig.
Ohne dass sich hier schon eine versorgungsstrukturelle Neuorientierung abzeichnet, befinden sich manche vertraute Gewohnheiten und ihre entsprechende Regelungen im Umbruch: Es kommt zur Unterscheidung, gar zur Trennung von psychischer Krankheit und von sozial und rechtlich unakzeptablem Verhalten, das die Rechte anderer tangiert oder verletzt. Die insbesondere durch das Bundesverfassungsgericht und die UN-Behindertenrechtskonvention vorangetriebene Aufwertung des Selbstbestimmungsrechts drängt fürsorglich begründete und aufdringlich wirkende Interventionen ärztlicherseits zurück. Verhaltenseinschränkende »besondere Sicherungsmaßnahmen« werden nicht mehr als Elemente psychiatrischer Behandlung gesehen, sondern als das rechtlich gewertet, was sie in der Realität sind: Freiheitseingriffe.
Angesichts einer Psychiatrie im Umbruch kommt rund zehn Jahre nach der Vorauflage nun gerade das durchgehend aktualisierte und auf den gedanklich und rechtlich neuesten Stand gebrachte Werk »Freiheitsentziehung und Unterbringung« heraus, das bei all den genannten Veränderungen eine zeitgemäße Orientierung vermittelt. Durch den Verzicht auf den Abdruck von Landesgesetzen, die nun bei Erwerb des Buches stets aktualisiert online eingesehen werden können, ist Raum gewonnen worden für Ergänzungen zum Aufenthaltsgesetz, zum Asylgesetz und zur Dublin-III-Verordnung, die vorwiegend vom neu hinzugekommenen Mitautor Stahmann bearbeitet wurden.
Weitgehend wurde die Struktur der Vorauflage beibehalten. In ihr sind im Kapitel A die Daten und statistischen Grundlagen aktualisiert und um Daten zu Zwangsbehandlungen erweitert. Im Kapitel B sind die Ländergesetze und die dazu gehörenden Verfahrenshinweise überarbeitet worden. Der Gefahrbegriff wurde mit neuen Rechtsprechungshinweisen breiter aufgestellt. Darüber hinaus wurde der Vollzug der Unterbringung teilweise neu formuliert, wobei die Grundsätze hierzu wie auch die Behandlungsplanung und die Zwangsbehandlung differenzierter als bisher dargestellt wurden. Auf die in den Landesgesetzen unterschiedlichen Regelungen zur Zwangsbehandlung ist ausführlich eingegangen worden. Die Abschnitte über die besonderen Sicherungsmaßnahmen sowie zum Datenschutz- und Einsichtsrecht wurden umfassend auf den neuesten Stand gebracht.
Im Bereich der zivil- bzw. betreuungsrechtlichen Unterbringung wurden die Ausführungen zu § 1904 BGB überarbeitet und um die Genehmigungsaspekte, die das Gericht zu prüfen hat, auf den neuesten Stand der Rechtsprechung gebracht. Gleiches gilt für § 1906 BGB. Der neue § 1906a BGB, der die Zwangsbehandlung im Betreuungsrecht regelt, erscheint hier erstmals ausführlich dargestellt.
Zusammenfassend lässt sich aus der Sicht des Rezensenten dieses Werk in seiner Neubearbeitung uneingeschränkt loben. Es verbindet rechtliche Präzision und Aktualität mit sprachlich klarer und auch und gerade für einen Nichtjuristen verständlicher Sprache. Die Autoren stellen nicht Sachverhalte und rechtliche Gegebenheiten leidenschaftslos dar, sondern führen den Nutzer dieses Werkes auf gedankliche Wege, die manche Rechtssetzung als bedenklich erscheinen lassen. Dies Werk sei jedem empfohlen, der sich mit Freiheitseingriffen in der Psychiatrie befassen muss oder davon betroffen ist.
Heinz Kammeier in Soziale Psychiatrie
Letzte Aktualisierung: 26.04.2024