Als ich die Neuauflage des Klassikers "Soziale Arbeit in der Psychiatrie" in den Händen hielt, packte mich die Neugierde. Bereits während meines Studiums der Sozialen Arbeit an der Hochschule Hannover durfte ich mich mit der alten Ausgabe "Sozialarbeit und Sozialpädagogik in der Psychiatrie" von M. Bosshard, U. Ebert und H. Lazarus aus dem Jahr 1999 auseinandersetzen. Rückblickend hat das Buch mich nicht nur dazu angeregt, mich intensiv mit Haltungsfragen auseinanderzusetzen, sondern mich auch zum selbstreflexiven Nach- und Weiterdenken motiviert.
Voller Spannung habe ich nun die Neuauflage aufgeschlagen. Optisch, aufgrund der Farbgebung ähnlich, zeigte sich die erste Überraschung beim Aufblättern des Inhaltsverzeichnisses. Das Autorenteam hat sich komplett geändert! Neben o.g. Herausgebern finden sich noch eine Reihe von namhaften Mitautorinnen und Mitautoren, die an der Überarbeitung des Lehrbuches tatkräftig mitgewirkt haben. Aufgegliedert in vier Teile (A, B, C und D), findet ein klar strukturierter Aufbau statt. Jedes Kapitel endet mit einer Zusammenfassung, Vertiefungsmöglichkeiten sowie Fragen und Übungen, die das Werk lebendig werden lassen!
Teil A, "Soziale Arbeit in der Psychiatrie", startet mit einem hervorragenden Einführungskapitel! Nach einem anschaulichen Einstieg in das Grundverständnis der Sozialen Arbeit wird ein Bezug zum Arbeitsfeld Sozialpsychiatrie hergestellt und die beiden Bereiche miteinander verschmolzen. Dieses Kapitel lädt zum Weiterlesen ein. Im anschließenden Abschnitt wird der Fokus auf die Klinische Sozialarbeit unter Einbezug der Theorie der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit nach Hans Thiersch gelegt. Daran anknüpfend werden psychiatrisch-medizinische Grundlagen vermittelt und hinsichtlich ihrer Erkenntnisse für die Soziale Arbeit kritisch beleuchtet.
Nicht fehlen darf an dieser Stelle natürlich ein Kapitel über häufig auftretende psychische Störungen sowie eine mögliche Pharmakotherapie. Fragen wie – Was ist eine Schizophrenie? Was verbirgt sich hinter dem Begriff Persönlichkeitsstörungen? Weshalb ist ein Grundwissen für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter über Psychopharmaka wichtig? Wie wirken überhaupt Psychopharmaka? – werden umfassend beantwortet. Es folgt ein sehr anschauliches Kapitel über das psychiatrische Hilfesystem mit einem tollen Überblick über psychiatrische Unterstützungsangebote und ihre Finanzierungsgrundlagen.
Den Abschluss von Teil A bilden zwei Kapitel, die sich mit den rechtlichen und ethischen Rahmungen und Herausforderungen der Sozialen Arbeit in der Psychiatrie befassen. Nachdem ich Teil A durchgearbeitet habe, steht für mich fest: Ein geeigneteres Basiswerk im Feld der Sozialen Arbeit in der Psychiatrie findet sich derzeit kaum! Ob für Einsteigerinnen und Einsteiger oder Profis mit langjähriger Berufserfahrung – hier findet jede und jeder etwas Neues für sich!
Weiter geht es mit Teil B: "Psychosoziale Interventionsformen". In diesem Abschnitt werden zentrale Methodenansätze vorgestellt. Dabei ist die "Person-in-ihrer-Umwelt-Perspektive" leitend. Einführend wird auf die Bedeutsamkeit einer professionellen Grundhaltung unter Einbezug auf sozialtherapeutische Paradigmen wie Alltagsorientierung, Gesundheitsförderung und Ressourcenorientierung eingegangen, um daran anknüpfend ein bisher viel zu wenig beachtetes Thema in der Sozialen Arbeit, nämlich den Beziehungsaufbau und die Beziehungsgestaltung, in den Blick zu nehmen. Es schließt sich ein Überblick über zentrale Interventionsformen an. Dabei wird vertiefend auf die psychosoziale Diagnostik, die Netzwerkarbeit, die Hilfeplanung sowie auf Aspekte der interdisziplinären Zusammenarbeit eingegangen.
Selbstverständlich wird in diesem Teil auch der Ressource Psychiatrie-Erfahrung Raum gegeben, indem auf die Möglichkeiten und Grenzen von Psychiatrie-Erfahrenen als Genesungsbegleiterinnen und –begleiter in den Hilfeprozess eingegangen wird. In Teil C befinden sich »Lernfälle«. Hier werden sechs unterschiedliche Fallbeispiele aus verschiedenen Perspektiven im Hinblick auf die Auswirkungen psychischer Störungen auf die Betroffenen und ihr Umfeld beleuchtet. Dabei wird auf die in Teil A und B vorgestellten theoretischen und methodischen Zugänge zurückgegriffen, um einen praxisnahen Bezug herzustellen und die Interventionsmöglichkeiten der Sozialen Arbeit beispielhaft nachzuzeichnen.
Teil D gibt abschließend Einblicke in die unterschiedlichen Formen, die zur Professionalisierung und Weiterentwicklung der Sozialpsychiatrie bzw. der Sozialen Arbeit in der Psychiatrie beitragen: Angefangen beim Qualitätsmanagement in der Klinischen Sozialarbeit über Forschungsansätze in der Sozialpsychiatrie bis hin zur Supervision in der Sozialen Arbeit!
Zum Abschluss kann ich nur festhalten, dass es diesem Lehrbuch an nichts mangelt! Es gelingt den Autorinnen und Autoren auf wunderbare Art und Weise, einen umfassenden Überblick über die Soziale Arbeit im Arbeitsfeld Psychiatrie zu geben. Dabei möchte ich vor allem die immer wiederkehrenden theoretischen Bezüge zur Sozialen Arbeit, die sich in fast jedem Kapitel finden, herausstellen! Thiersch, Staub-Bernasconi, Böhnisch und Wendt sind nur einige bedeutende Namen von Theoretikerinnen und Theoretikern der Sozialen Arbeit, auf die im vorliegenden Werk Bezug genommen wird. Daneben zeichnet das Buch ein durchweg gut lesbarer Schreib- und Sprachstil aus.
Durch die in sich abgeschlossenen Kapitel macht es Spaß, auch nur ein oder zwei Kapitel zu lesen. Dieses Buch ist ein MUSS nicht nur für Studierende der Sozialen Arbeit sowie Praktikerinnen und Praktiker im Arbeitsfeld der Sozialpsychiatrie, sondern für alle Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter mit Interesse an psychiatrischen Frage- und Problemstellungen!
Sabrina Hancken in Soziale Psychiatrie
Letzte Aktualisierung: 26.04.2024