Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie
Dachverband Gemeindepsychiatrie
Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen
Psychiatrie Verlag

Die Rettung der uns bekannten Welt

Til Schweiger scheint eine gewisse Affinität zu psychiatrischen und neurologischen Themen zu haben. In »Barfuss« verliebt sich der von ihm gespielte Nick Keller in die suizidale Leila, mit dem Thema Alzheimer befasste er sich gleich zweimal in einer deutschen und einer amerikanischen Version des Films »Honig im Kopf«. Doch während die deutsche Produktion mit Dieter Hallervorden ein Erfolg an den Kinokassen wurde, floppte das amerikanische Remake unter Schweigers Regie in den Lichtspielhäusern.

Nun also »Die Rettung der uns bekannten Welt« mit dem jungen Protagonisten Paul, der an einer bipolaren Störung erkrankt ist. Gleich zu Beginn des Films erleben wir Paul in einer manischen Phase, als Parkourläufer geht er ständig an die Grenzen und bringt sich damit in Lebensgefahr, in der Schule fällt er durch sein respektloses Gebaren auf. Am Grab der Mutter lässt er zu ihrem Geburtstag eine spanische Musikgruppe auftreten und statt auf seine zwei Geschwister Charly und Luca aufzupassen, treibt es ihn nachts auf die Straße. Als die Manie ein jähes Ende findet, plant Paul sich in einem Bergsee zu suizidieren, entscheidet sich aber dann doch, nach Hause zurückzukehren. Aufgrund seiner starken Depressionen bringt ihn sein Vater Hardy in eine Psychiatrie auf dem Land. Erstaunlich, dass in Filmen die psychisch erkrankten Angehörigen immer förmlich draußen an der Türe abgegeben werden, so auch hier.

In der Klinik mit schlossartigem Ambiente sind alle Patienten und Patientinnen ausschließlich jugendlichen Alters, die Räume machen einen gemütlichen und lichtdurchfluteten Eindruck, nur die weiße Klinikkleidung des Personals will nicht ganz zur Atmosphäre passen. Es gibt Gruppen- und Einzeltherapien mit einer Ärztin, die pflegerischen Mitarbeitenden haben überwiegend Aufsichtsfunktion und dienen eher als Staffage. Paul hat zunächst Schwierigkeiten sich einzuleben und bittet einen Freund, ihn abzuholen. Dieser sieht aber die Notwendigkeit der Behandlung und lehnt ab. Nach anfänglichem Zögern nimmt Paul seine Medikamente ein und beginnt, sich in seine Mitpatientin Toni zu verlieben. Paul rutscht rasch wieder in eine manische Phase – in Psychiatrie-Tragikomödien leiden Menschen mit einer bipolaren Störung vermutlich immer unter Ultra Rapid Cycling – und glaubt, gesundet zu sein. Als Toni für eine Nacht fixiert wird, befreit er sie und flüchtet auf abenteuerliche Weise mit ihr bis ans Meer, wo ihn wieder die Depression überkommt. Als er beginnt zu verstehen, dass seine Erkrankung doch nicht überwunden ist, begibt er sich erneut in die Psychiatrie. In einer Schlussszene ist Paul annähernd glücklich mit Familie und Freunden vereint.

»Die Rettung der uns bekannten Welt« ist lang, zu lang – und abwechslungsreich, man könnte auch sagen überbordend. Til Schweiger, der auch das Drehbuch mitverantwortet, versucht in dieser Tragikomödie unterschiedliche Genres unterzubringen. Von der Liebeskomödie – der alleinerziehende, um seine Frau trauernde Hardy verliebt sich in eine Arbeitskollegin – über Roadmovie-Elemente bis zum Actionfilm ist überflüssigerweise alles vertreten. Um eine Manie darzustellen, hätte es z.B. nicht einer Verfolgungsjagd mit trotteligen Polizisten als Knallchargen bedurft. Das risikobehaftete Klettern von Paul in der Anfangssequenz und seine für eine Manie typischen Monologe voller Selbstüberschätzung, wie auch die immer wieder durchblitzende Gereiztheit und Ungeduld, wären einer realistischen Charakterisierung dieser Krankheitsphasen gerecht geworden. Die Psychiatrie wird glücklicherweise nicht als Ort des Schreckens gezeichnet, muss aber für so viele alberne und chaotische Szenen herhalten, dass sie nur als Attrappe taugt. Dass Til Schweiger durchaus versucht,einer oder mehreren Agenden zu folgen, aber sich dann im Wunsch nach dem Effekt verheddert, wird in einer Szene an einem winzigen Detail deutlich: Als Paul und Toni auf der Flucht symbolisch heiraten, erfahren die Zuschauer ihren Nachnamen, Chrupalla. Namensähnlichkeiten zu prominenten Politikern aus dem rechtsextremen Spektrum sind vermutlich nicht rein zufällig, gleichwohl bleibt die Anspielung zusammenhangslos und somit ohne Wirkung und hohl.

»Die Rettung der uns bekannten Welt« scheitert daran, für jeden etwas bieten zu wollen und somit keine Zeit mehr zu haben, eine Geschichte zu erzählen. Die wenigen Glanzpunkte im Drehbuch zeigen, es hätte dafür Potenzial gegeben.

Immerhin, die Deutsche Gesellschaft für bipolare Störungen erhielt von Warner Bros zur Filmpremiere einen Scheck über 25.000 Euro. Dafür hat sich der Film doch schon gelohnt.

Ilja Ruhl

Letzte Aktualisierung: 02.06.2024