Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie
Dachverband Gemeindepsychiatrie
Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen
Psychiatrie Verlag

Empire of light

Über »The Empire of Light« ist viel geschrieben worden. Er feiere das Kino, das sich nach der Corona-Krise noch immer nicht erholt hat. Es gehe um die Magie des Lichts, den Zauber erdachter Geschichten. Man kann dem Regisseur nicht verdenken, dass er nur selten seinen zentralen Drehort verlässt: einen traumhaften alten Kinopalast namens »Cinema Empire« mit Meerblick, an der Südküste Englands. Nicht mehr alle Ebenen und Säle werden bespielt, was dem Drehbuch Gelegenheit zu Schäferstündchen zwischen Tauben und eingestaubten Sesseln bietet. Doch unten blüht noch das gesellschaftliche Leben. Die Holzvertäfelungen glänzen, eine muntere Crew kümmert sich um das Abreißen der Karten, den Popcornverkauf und das Putzen am Abend.

Die nicht mehr ganz junge Hilary (Olivia Colman) leitet das Team. Der Kinobesitzer Mr. Ellis (Colin Firth) ordert sie ab und zu in sein Büro, wo er seine sexuellen Bedürfnisse an ihr stillt. Als der junge, wunderschöne schwarze Stephen (Micheal Ward) die Arbeit als Kartenabreißer aufnimmt, führt sie ihn gerne ein, und sie landen bei den Tauben. Die Liaison mit dem mindestens zwanzig Jahre jüngeren Mann ist wenig glaubhaft, erfreut aber das Herz der Zuschauerin.

Ich habe die Spur der psychischen Störung in diesem Film gesucht und verfolgt, logisch. Der Psychiater moniert, dass Hilary vier Pfund zugelegt hat. Das Lithium vertrage sie gut, aber sie fühle sich »betäubt«. Während sie zunächst brav jeden Tag ihr Pillendöschen öffnet, schlägt sie frisch verliebt die Tür des Spiegelschranks
im Badezimmer auf und wieder zu. Der Zuschauer muss schon in der Lage sein, diese winzige Aktion als das Absetzen des Lithiums zu deuten. Hilary wird lebendiger, sie nimmt ab. Sie ist bester Laune, gleichzeitig wird sie gereizt und unberechenbar und auffällig. Stephen erfährt,dass sie schon häufiger in der psychiatrischen Klinik war. Der Kinobesitzer behauptet, sie habe eine Schizophrenie, und die Fürsorge habe ihn aufgefordert, ihr einen Arbeitsplatz zu geben. Nur deshalb habe er sie eingestellt. Der Psychiater lobt, dass sie zwei Pfund abgenommen hat. Dass sie das Lithium abgesetzt hat, verrät sie ihm nicht. Als Stephen eine Frau in seinem Alter kennenlernt, beendet er die Beziehung. Hilary zieht sich verzweifelt in ihrer Wohnung zurück und verlottert.

Zu einem großen, lange geplanten Event taucht sie schrill kostümiert wieder auf. Es ist eine Filmpremiere in Anwesenheit örtlicher Politiker und internationaler Stars. Nach der Eröffnung durch den Besitzer geht sie auf das Podium und liest ein Gedicht vor. Die Aufregung ist groß.

Stephen wird von Skinheads zusammengeschlagen. Sie besucht ihn im Krankenhaus, und schließlich darf er auch sie in ihrer Wohnung besuchen. Er wolle ihr doch nur helfen – das könne sie nicht mehr hören. Während seines Besuchs klopft eine Mitarbeiterin des Sozialdienstes in Begleitung der Polizei an ihre Tür. Als sie nicht öffnet, wird die Tür aufgebrochen. Hilary hat den Koffer für die Klinik bereits gepackt. Beinahe majestätisch triumphierend schreitet sie aus der Wohnung.

Am Ende, nach einigen Monaten, erhält Stephen endlich den lang ersehnten Studienplatz. Hilary verabschiedet sich von ihm und schenkt ihm einen Gedichtband. Auf seinen Rat hin fängt sie an, Filme zu schauen, was sie bisher immer verweigert hat. Sie ist verzaubert.

Der Regisseur Sam Mendes hat berichtet, seine Mutter habe an einer bipolaren Störung gelitten. Seine Erfahrungen sind in das Drehbuch eingeflossen. Nach der Scheidung der Eltern wuchs er bei seiner Mutter auf und erlebte, wie sie immer wieder unglückliche Beziehungen zu Männern einging.

Ich finde, die psychische Störung bis hin zur Einweisung ist präzise und stimmig geschildert. Olivia Colman agiert wie immer herzzerreißend. Ich fühlte mich an nicht wenige berufliche Situationen erinnert. Leider hat Sam Mendes seine anderen Topoi – die Magie des Kinos, Rassismus, Thatcher-Ära – nicht ähnlich sensibel geschildert, sondern hat hier für meinen Geschmack zu dick und ungenau aufgetragen.

Bleibt bei den Zuschauern vermutlich die Erkenntnis, dass Medikamente stabilisieren, die Liebe hingegen aus der Bahn wirft. Und Kino hilft immer.

Ilse Eichenbrenner in Soziale Psychiatrie

Letzte Aktualisierung: 02.06.2024