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Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen
Psychiatrie Verlag

Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann – Ein autistischer Junge erklärt seine Welt

Amrit zeichnet das, was sie auf der Straße in Indien sieht, in einem eigenen Stil und zeigt ihre Bilder in einer großen Ausstellung. Joss erzählt als Erwachsener immer wieder von Details aus der Wohnung mit der Hausnummer 80, in der er als Kind mit seinen Eltern lebte. Emma und Ben sind seit ihrer Kindheit befreundet, spielen gemeinsam in einer Eishockey-Mannschaft und erhalten von Emmas Mutter Privatunterricht. Jestina lebt in Sierra Leone, teilt mit ihnen den Alltag und begleitet beide auf Infoveranstaltungen für Eltern von Kindern mit Beeinträchtigungen. Alle eint die Tatsache, dass sie eine Autismus-Spektrum-Störung haben.

Die Dokumentation »Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann« basiert auf dem gleichnamigen Buch von Naoki Higashida, das er mit dreizehn Jahren schrieb, um Nichtbetroffenen mitzuteilen, wie Menschen mit einer ausgeprägten Autismus-Spektrum-Störung die Welt erleben. Weil Higashida nicht selbst vor der Kamera auftreten wollte, begleitet Regisseur Jerry Rothwell von Autismus betroffene junge Menschen und ihre Familien mit der Kamera und zitiert immer wieder aus dem Off Passagen im Buch von Higashida. Die Beschreibungen von der veränderten Wahrnehmung der Betroffenen – Details aus der umgebenden Welt werden fokussiert und das Ganze häufig zunächst nicht wahrgenommen – versucht Rothwell filmisch darzustellen: Bilder sind verschwommen, es wird auf einzelne Strukturen und Muster fokussiert, Geräusche, wie das Gleiten eines Filzstifts auf Papier, werden verstärkt und rücken in den Vordergrund. Higashidas Buch wird in Fachkreisen kritisch gesehen, weil es mit der Methode der Gestützten Kommunikation entstand, bei der der Unterarm der schreibenden Person durch eine weitere Person gestützt wird. Untersuchungen zu der Methode kommen zum Schluss, dass nicht die betroffene Person die Texte schreibt, sondern die unterstützende Person durch minimale Impulse unbewusst die Hand der schreibenden Person führt. Insofern sind die unterlegten Buchzitate im Film mit Vorsicht zu betrachten. Es stellt sich die Frage, ob der Film trotz dieser Einschränkung eine sehenswerte Dokumentation ist? Diese Frage kann eindeutig bejaht werden. Die vielfältigen internationalen Einblicke in das Leben von Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung sind beeindruckend. Sie zeugen davon, dass das Engagement der Angehörigen von betroffenen Menschen Früchte trägt.

Ilja Ruhl in Soziale Psychiatrie

Letzte Aktualisierung: 02.06.2024