Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie
Dachverband Gemeindepsychiatrie
Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen
Psychiatrie Verlag

I Know This Much Is True

Brachial! Kaum anders ließe sich der Einstieg in diese Serie beschreiben. Sie beginnt damit, dass Thomas, der unter einer paranoiden-halluzinatorischen Schizophrenie leidet, in einer Bibliothek seine rechte Hand abschneidet. Sein eineiiger Zwillingsbruder Dominick muss darüber befinden, ob sie wieder angenäht wird. Er entscheidet sich dagegen, weil ihn sein Bruder verzweifelt darum bittet. Nach dem Aufenthalt in der Somatik wird Thomas in die Forensik überwiesen. Sein Zwillingsbruder geht von einem formalen Fehler aus und bemüht sich darum, dass er unverzüglich in die ihm bekannte Klinik kommt, in der der behandelnde Psychiater Thomas seit mehreren Jahren kennt.

Von dieser Ausgangssituation entwickelt sich »I Know This Much Is True« vordergründig als Kampf eines Angehörigen für die Verlegung des Bruders in eine andere Klinik, in der er mehr Freiheiten erfährt und nicht unter dem Druck der forensischen Mitpatienten zu leiden hat. Der Spannungsbogen in dieser Serie entsteht durch die feine Beobachtung der zunehmenden Veränderung von Dominick vor dem
Hintergrund seiner Bemühungen um den Bruder. Anfangs noch sanftmütig und verständnisvoll, wird er unter dem inneren Druck immer ablehnender und kompromissloser gegenüber den Menschen in seinem Umfeld, denen er wichtig ist. Lediglich die Psychiaterin des Bruders und die zuständige Sozialarbeiterin in der Klinik schaffen es mit ihrer ruhigen, aber konsequenten Ansprache häufig noch, ihn zu erreichen. Vor allem die Sozialarbeiterin Lisa teilt die Einschätzung von Dominick, dass sein Bruder für andere keine Gefahr darstellt, sieht aber auch die rechtlichen Zwänge und Hürden, die einer Verlegung im Wege stehen, und mahnt deshalb immer wieder zu Geduld, ohne dabei untätig zu bleiben.

In einem weiteren Erzählstrang erfahren die Zuschauer in vielen, mal kürzeren, mal ausführlichen Rückblenden die Familiengeschichte der beiden Brüder. Neben einem jähzornigen und mitunter gewaltbereiten Stiefvater leidet Dominick auch unter der Ausgrenzung, die sein Bruder in Kindertagen erlebt hat, weil er da bereits anders ist als die anderen Kinder. Dominick ringt als Kind und als Jugendlicher mit dem Bedürfnis nach Autonomie von seinem Zwillingsbruder und der Verantwortung, die er aus seiner Sicht für ihn trägt. Weil das Pendel für ihn als Erwachsener ausschließlich in Richtung Verantwortungsübernahme ausschlägt, versuchen Freunde ihm immer wieder klarzumachen, er solle auch mal an sich denken, er müsse sich auch mal um sich kümmern, um nicht vollends unterzugehen. Erstaunlicherweise erfährt man von der Person, um die sich eigentlich alles dreht, nur sehr wenig. Die Serie begleitet Thomas nicht mit zu den Therapien, zeigt keinen Klinikalltag, Bruder wie Zuschauer sind meist auf die Berichte der Psychiaterin und der Sozialarbeiterin
angewiesen, um zu erfahren, wie es Thomas geht. Kleine Genesungsfortschritte, die Thomas in der Vergangenheit gemacht hat, werden lediglich in Erzählungen angedeutet, wie z.B. seinen kleinen Caféstand in seiner früheren Klinik, in der er im Rahmen eines Zuverdienstes tätig war.

Insofern zeigt die Serie vor allem die Nöte der Angehörigen, ihr oft erfolgloses Bemühen um Kontakt und die Möglichkeit, den psychisch erkrankten Angehörigen unterstützen zu dürfen. Und wie Beziehungen zu zerbrechen drohen, an diesem hohen Anspruch.

Als Serie kann sich »I Know This Much Is True« Zeit lassen, die vielen Biografiefäden der Protagonisten immer mehr zusammenzuführen und miteinander zu verweben. Die Verbindungen reichen bis zum Großvater der beiden Brüder zurück. Gelegentlich blitzt bei aller Hoffnungslosigkeit auch ein gewisser Witz auf, z.B. wenn sich Dominick breitbeinig staksend in Lebowski-Manier mit Hippiehose zum Gespräch in die Klinik begibt. Bei einer körperlichen Auseinandersetzung hat er zuvor einen empfindlichen Schlag in den Unterleib bekommen. Andererseits werden in der Serie sehr viele Tränen vergossen, ohne der Rührseligkeit anheimzufallen. Mark Ruffalo, selbst als Kind nach eigener Aussage unerkannt an ADHS und Depressionen erkrankt, spielt seine Doppelrolle so glaubhaft, dass man gelegentlich das Gefühl hat, für die Rolle des erkrankten Zwillingsbruders habe man doch einen anderen Schauspieler verpflichtet. Würde diese Serie mit dem Claim »Berührend, bewegend, bedrückend« beworben, so ließe sich das ohne jeden Pathos-Verdacht unterschreiben.

Ilja Ruhl in Soziale Psychiatrie

Letzte Aktualisierung: 08.11.2024