Alljährlich am 21. September ist der Welt-Alzheimer-Tag, eingebettet in die »Woche der Demenz«. Am 23. September kam der Dokumentarfilm »Mitgefühl« in die Kinos. Die deutsche Regisseurin Louise Detlefsen hat sich über ein Jahr lang in der kleinen dänischen Pflegeeinrichtung »Dagmarsminde« eingenistet. Sie hat mitgelebt und beobachtet, gefilmt und mitgefühlt.
Das ungewöhnliche Projekt wurde von der Krankenschwester May Bjerre Eiby in einer umgebauten alten Tischlerei realisiert. Nach schlechten Erfahrungen in herkömmlichen Demenzeinrichtungen erprobt sie hier mit großem Erfolg einen neuen Ansatz. 12 Bewohnerinnen und Bewohner werden mit größter Geduld und Umsicht in familiärer Atmosphäre von zwei bis drei Pflegenden umsorgt. Sie sind an ihrer Kleidung unschwer zu erkennen. Der Alltag wird gemeinsam verbracht. Es gibt einen Garten, Hund und Katze. Während der Dreharbeiten stirbt eine Bewohnerin, behutsam begleitet, und ein Platz wird frei. Ein Ehepaar – Vibeke und Thorkil – zieht gemeinsam ein. Der Zuschauer kann mitverfolgen, wie viele Gedanken sich die Mitarbeiterinnen bereits im Vorfeld um die beiden machen. Thorkild ist noch sehr mobil und fühlt sich weder krank noch dement. Manchmal wird er wütend. Meistens läuft er unruhig durch den Garten.
Vielleicht wird in dieser kleinen Einrichtung tatsächlich die meiste Zeit in der großen Sitzgruppe mit freundlichem Smalltalk, dem Verzehr von Torte und einem kleinen Gläschen Punsch verbracht. Streckenweise wirkt der Alltag märchenhaft, zu schön, um wahr zu sein. Themen wie Inkontinenz oder Aggressivität werden nur angedeutet, das aber immerhin. Der gesamte Film ist synchronisiert. Die zarten Stimmen der Pflegerinnen dominieren und bleiben lange im Gedächtnis haften. Sie beruhigen und erklären, fordern auf und beruhigen erneut.
Ein besonderes Augenmerk wird auf die Medikation gelegt. Bei der Teamsitzung wird die mitgebrachte Verordnung kritisch geprüft und
vieles abgesetzt. Alternativen werden gesucht. May Bjerre hat den Anspruch, ganz oder fast ohne Schmerzmittel und Neuroleptika auszukommen, sogar Blutdruckmedikamente stellt sie infrage.
Es stehe nicht mehr Geld und Personal zur Verfügung als in jeder anderen dänischen Heimeinrichtung, das ist den Presseinformationen zu entnehmen. Ja, das glauben wir gerne, dass das in Dänemark so ist. In Deutschland, mit unserem komplexen Finanzierungssystem wäre eine vergleichbare Personalausstattung undenkbar. Trotzdem ist dieser Film ungeheuer wichtig. Denn er zeigt, was möglich ist. Und er zeigt diese Lebensphase so sanft und freundlich, dass die Angst vor ihr schwindet. Am Ende sitzen alle um ein Lagerfeuer, und man würde sich gerne dazusetzen.
Mich hat diese Dokumentation über Dagmarsminde sehr an die Hausbesuche in Demenz-WGs in Berlin erinnert, bei denen ich als
Sozialarbeiterin den Pflegebedarf der Bewohner prüfen musste. Manche WGs waren beinahe so heimelig, viele jedoch sterile Pflegeheime im Kleinstformat. Doch in diesem Setting wäre wohl am ehesten eine Umsetzung denkbar. Natürlich ist es die Haltung, das Mitgefühl, das Dagmarsminde so besonders macht. Die entsprechenden Pflegekonzepte sind bestens bekannt, auch in Deutschland. Aber es sind die materiellen Ressourcen, die eine derartige Vision erst realisierbar machen.
Ilse Eichenbrenner in Soziale Psychiatrie
Letzte Aktualisierung: 02.06.2024