Ein Film, der in Deutschland mit einem englischen Titel erscheint, welcher noch dazu »Madman« enthält, lässt aufmerken. Warum man bei der deutschen Veröffentlichung den englischen Titel beibehalten hat, lässt sich nur erahnen, womöglich ist es eine Würdigung des Themas, das die Rahmenhandlung bildet. Aber der Reihe nach.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts bekommt James Murray, ein Autodidakt der englischen Philologie, den Auftrag, das »New English Dictionary on Historical Principles« zu entwickeln. Unter den vielen Ehrenamtlichen, die Murray mittels landesweiter Aufrufe zur Mitarbeit an dem Werk bewegen kann, befindet sich auch der ehemalige Militärarzt William C. Minor (Sean Penn), der nach einem Tötungsdelikt wegen fehlender Schuldfähigkeit in einer psychiatrischen Anstalt für Rechtsbrecher untergebracht ist. Minor entwickelt ein System, das es ihm sehr viel schneller als den anderen ehrenamtlichen Mitarbeitern ermöglicht, Literaturfundstellen der Begriffe auszumachen, die in das Lexikon aufgenommen werden sollen. Murray wird dadurch auf ihn aufmerksam und besucht ihn nach vielen Jahren des Briefwechsels in der Anstalt. Langsam entwickelt sich eine Freundschaft zwischen den beiden.
Diese Freundschaft und die Arbeit am Dictionary führen zeitweise zu einer Verbesserung des Gesundheitszustandes von Minor. Ihn quälen aber weiterhin starke Schuldgefühle gegenüber der Witwe des von ihm erschossenen Mannes, weswegen er ihr Geld aus seiner üppigen Militärpension anbietet. Nach längerem Zögern nimmt sie das Geld an und beginnt ebenfalls, Minor in der Anstalt zu besuchen. Dieser profitiert von den Lockerungen und Kontakten und erholt sich zunehmend. Mitunter ist man als Zuschauer geneigt, die damaligen Verhältnisse in der Psychiatrie milde zu betrachten. Aber als es Minor psychisch immer schlechter geht, kommt der Direktor der Anstalt an die Grenzen seines humanen Behandlungsrepertoires und beginnt mit den zu diesen Zeiten üblichen und aus heutiger Sicht folterartigen Therapien. Durch das beherzte Eingreifen von Murray und der Witwe Merrett wird Minor mit der Auflage entlassen, in seine Heimat, die USA, zurückzukehren.
Mel Gibson, der die Rolle von James Murray spielt, hat sehr früh die Rechte an der Romanvorlage erworben und zwanzig Jahre an der filmischen Umsetzung gearbeitet. Auseinandersetzungen mit der Produktionsfirma führten dazu, dass der Film nicht so
realisiert wurde, wie es sich Gibson ursprünglich gewünscht hat. Und tatsächlich hat der Film einige Längen und Schwächen. Die Probleme zwischen Murray und den Geldgebern des Wörterbuch-Projekts nehmen diverse Schleifen, phasenweise kippt die Handlung ins Melodramatische ab, und an einigen Stellen hätte etwas weniger Pathos dem ansonsten tadellosen Anspruch und Anliegen des Films gutgetan. Denn im Kern ist »The Professor and the Madman« eine Erzählung über den Versuch zur Menschlichkeit. Das schwere psychische Leiden von Minor wird nicht negiert, spielt aber für Murray erst dann eine Rolle, als es darum geht, ihm einen Ausweg aus der Psychiatrie zu ermöglichen. Bis zu diesem Moment sieht Murray in ihm vor allem einen Freund und gebildeten Gesprächspartner.
Eine historische Recoverygeschichte, die an den begrenzenden Verhältnissen und begrenzten Möglichkeiten der damaligen Zeit scheitert. Nicht herausragend, aber wegen des Themas und wegen der schauspielerischen Leistung von Mel Gibson und Sean Penn sehenswert.
Ilja Ruhl in Soziale Psychiatrie
Letzte Aktualisierung: 06.11.2024