Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie
Dachverband Gemeindepsychiatrie
Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen
Psychiatrie Verlag

Die Menschenliebe

Ein Dokumentarfilm, dazu preisgekrönt, zum Thema Sexualität und Behinderung macht neugierig. Es ist Tradition, dass auf der Berlinale der Gewinnerfilm des „First Steps Award“ gezeigt wird - allerdings nur in einer einzigen Vorstellung. Der Saal ist ausverkauft.

Zwei Männer werden vorgestellt: Jochen, ein sportlicher und gut aussehender Mann in mittlerem Alter hat vielleicht eine leichte geistige und seelische Behinderung, und ist ganz eingeengt auf seine Liebe zu einer Prostituierten, die er heiraten möchte. Im Bordell hat er Hausverbot, im Bezirksamt belehrt ihn eine Sozialarbeiterin zu Nähe und Distanz, und mahnt, er müsse die Grenzen dieser Frau respektieren. Jochen arbeitet in einer WfbM, wo er in der Abteilung für Aktenvernichtung arbeitet, und Papier schreddern muss. Er bewohnt eine eigene Wohnung. Ab und zu kommt seine Schwester und kümmert sich; Jochen wird sauer, als sie seine Pornohefte wegwerfen will.

Jochen ist mir ziemlich unsympathisch, ganz im Gegenteil zu Sven, dem der zweite Teil dieses Dokumentarfilms vorbehalten ist. Sven hat eine erhebliche körperliche Behinderung und sitzt im Rollstuhl; routiniert und eloquent bestellt er sich am Telefon gegen Geld die weiblichen und männlichen Sexualpartner in sein Zimmer in der Wohngruppe der Spastikerhilfe, und lässt sich von der Kamera auch beim Sex beobachten. Hinterher wird am Küchentisch mit den anderen Bewohnerinnen diskutiert. Sven ist witzig, sympathisch, und vermag mit hoher Intelligenz seine prekäre Situation zu reflektieren. Nach der Vorstellung eröffnet uns der Regisseur, dass ein großer Teil der angeblich dokumentarischen Handlung des ersten Teils nach seinem Drehbuch gespielt war, denn beide Männer sind Schauspieler beim Theater Ramba Zamba, das übrigens Teil einer Berliner Werkstatt für Behinderte ist.

Ich glaube, nicht nur ich fühle mich ein wenig verarscht. Er wolle die Grenzen der Kategorien überwinden – die zwischen behindert und nichtbehindert, und eben auch die zwischen Dokumentation und Spielfilm. Möglicherweise ist dieser „semi-dokumentarische“ Film geeignet als Anregung für die Diskussion zum Thema Sexualität und Behinderung – ich bin mir nicht wirklich sicher.

Ilse Eichenbrenner

Letzte Aktualisierung: 10.04.2017