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Im Weltraum gibt es keine Gefühle

„Aspis“ werde immer beliebter, zumindest im Spielfilm. In den letzten Jahren profilierten sich berühmte Schauspieler als Menschen mit Asperger Syndrom: zum Beispiel Sigourney Weaver in „Snow-Cake“, und Bollywood-Star Shah Rukh Khan in „My name is Khan“. Doch auch Knetfiguren bezaubern die vor allem jugendlichen Zuschauer: Der bezaubernde Animationsfilm „Mary und Max“ läuft gerade in einigen Kinos, und sei noch einmal nachdrücklich empfohlen.

Aus Schweden kommt nun ein fast alltäglicher Film daher, gedreht von einem 26jährigen Regisseur und nominiert für den diesjährigen Auslands-Oscar.

Simon ist reichlich zwanzig Jahre alt und lebt noch bei seinen Eltern. Er hat einen einfachen Job in einer Parkanlage, wo er den Abfall aufsammeln muss. Er liebt das Weltall und alles was kreisförmig ist. Logischerweise hasst er Ecken und Kanten und jegliche Art von Veränderung. Wenn er aus den Fugen gerät, dann steigt er in eine große Tonne, sein Raumschiff, und macht den Deckel zu. Die Tonne hält ihn zusammen - nun kommt keiner mehr an ihn ran.

Der Film beginnt mit der verzweifelten Mutter, der es nicht gelingt, Simon aus seiner Tonne zu locken. Sie ruft Sam an, Simons Bruder, der gerade mit seiner Freundin zusammen gezogen ist und die Wände streicht. Sam gelingt es mit dem verstockten Astronauten Kontakt aufzunehmen, und seinen Bruder aus der Tonne zu locken. Er nimmt ihn mit in die gemeinsame Wohnung. Nun leben sie zu dritt, nach dem strengen Zeitplan von Simon.

Minutiös ist geregelt, wer wann in das Bad darf, wann gefrühstückt wird, und was für kreisförmige Lebensmittel (Pfannkuchen, Tacos, Pizza) es an den einzelnen Wochentagen zu essen gibt. Dabei ist es Simon, der dem Zuschauer aus dem Off seine Regeln erklärt und in durchaus witzigen Sequenzen demonstriert. Er zieht sich morgens eine blau-rote Jacke an und heftet sich einen Button an auf dem zu lesen ist, dass er an Asperger leidet.

Zunächst unterwirft sich Sams Freundin dem zwanghaftem Regiment des jungen „Aspis“, doch schließlich läuft sie weg. Es ist aus, sie kann nicht mehr, sie kommt nicht mehr zurück. Sam ist verzweifelt, und weil Sam verzweifelt ist, sucht Simon nach einer Lösung. Eine neue Freundin muss her, und er versucht dieses Problem wissenschaftlich zu lösen. Zunächst sucht er nach einer Frau, die Sams Vorlieben teilt. Mit einem Fragebogen zieht er umher: Hund oder Katze, Lakritz oder Weingummi? Doch Sam erklärt ihm anhand von zwei Magneten, dass es gerade die Gegensätze sind, die sich anziehen. Die Kamera beobachtet geduldig den semi-autistischen Simon, der wegen seiner starren Mimik ein seltsamer Fremdling bleibt. Er terrorisiert seine Umwelt, so dass auch der Zuschauer manchmal die Geduld verliert.

Auch Sam wird es irgendwann zu viel, und er wird wütend. Doch er lenkt immer wieder ein, und versucht seinem kleinen Bruder zu erklären, wie die Gefühle normaler Menschen funktionieren. Simon versucht sich anhand von Smileys zu orientieren: Mundwinkel unten = schlechte Laune, Mundwinkel oben = gute Laune. Doch weshalb wechseln diese Stimmungen manchmal so abrupt? Der Film arbeitet mit Smileys, die plötzlich auf der Leinwand aufpoppen, und mit pseudo-wissenschaftlichen Diagrammen, die Simons Gedanken visualisieren.

Sam lernt die chaotische Jennifer kennen: Immer wieder berührt sie ihn kurz, obwohl er das eigentlich nicht erträgt. Sie fragt ihn aus, sie erklärt ihm ihre Gedanken und Gefühle, ohne sich dabei übermäßig anzupassen. Simon wird hineingezogen in eine muntere, alberne Mädchenwelt, wie sie ihm fremder nicht sein könnte. Er staunt.

Simon leiht sich alle Liebesfilme aus, vor allem die mit Hugh Grant, und organisiert ein Dinner im Park mit Life-Musik und Feuerwerk und will auf diese Weise die Liebesverbindung Sam-Jennifer mit aller Gewalt erzwingen. Das ist mal lustig, dann wieder unter jedem Gesichtspunkt reichlich konstruiert. Am Ende wird dann doch nicht alles gut, aber das ist gut so.

Im Weltraum gibt es keine Gefühle, aber es gibt Mitgefühl und Sympathie und brüderliche Solidarität zwischen Simon und Sam. Dem erfrischenden Film gelingt die Balance zwischen Gefühlskino und origineller Psychoedukation. Er ist bestens geeignet für kluge und weniger kluge, für reife und unreife aber auf jeden Fall ziemlich junge Menschen beiderlei Geschlechts. Von dem jungen Regisseur wird noch zu hören und zu sehen sein.

Ilse Eichenbrenner

Letzte Aktualisierung: 12.04.2017